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VIII. Syntheseplanung für Visnadin
1. Einführung in das Themengebiet
Ammi Visnaga ist eine in Nordafrika beheimatete Pflanze, deren
Verwendung als Medikament eine nachweisbar tausendjährige Geschichte
hat
[34]
. Die ersten systematischen Untersuchungen der Inhaltsstoffe gehen
auf Mustapha
[35]
zurück, der 1879 ein gelbliches Pulver erhielt, das er Khellin
nannte. Erst ab 1930 gelang Fantl und Salem
[36]
bzw. Samaan
[37]
die Reindarstellung einiger der Inhaltsstoffe. Die Gruppe der
Visnagane, die zu den Cumarinen zählen, wurde in den 50er Jahren
entdeckt. Smith, Pucci und Bywathers
[38]
isolierten als erste Visnadin in gereinigter Form aus dem fetten
Öl der Samen von Ammi Visnaga. Starkovsky et al
[39]
und Le Men
[40]
konnten zeigen, daß sich Visnadin aus den Fruchtdolden der
Pflanze (ohne Samen) leichter gewinnen läßt, so daß
pharmakologische und klinische Untersuchungen in breiterem Maße
durchgeführt werden konnten. Hierbei stellte sich eine stark
coronardilatierende Wirkung am isolierten Warmblüterherzen heraus,
die sechsmal höher ist als die von Khellin. Im Bereich therapeutischer
Dosen bewirkt es keine Erhöhung des Systemblutdrucks, so daß
es als Coronartherapeuticum zur Behandlung von Angina Pectoris eingesetzt
werden kann (Abb.
50
).
Abb. 50: Packungsbeilage eines natürlichen Visnadin-Präparates
(Carduben der Fa. Madaus AG, Köln)
Eine unmittelbare Synthesevorstufe von Visnadin stellt (+)-cis-Khellacton
dar (Abb.
55
,
Seite 80
). 1994 veröffentlichen Reisch und Voerste eine enantioselektive
Synthese dieser Verbindung
[41]
.
Im Rahmen der Diplomarbeit sollte nun der Versuch unternommen
werden, retrosynthetisch eine Totalsynthese von Visnadin zu planen.
Hierbei kam das Syntheseplanungsprogramm WODCA in der Version 3 unter
Sun Solaris zum Einsatz. Der Auswahl von Visnadin als Syntheseziel
lag folgende Motivation zugrunde:
-
Die Planung einer Laborsynthese, die konkurrenzfähig zur
Gewinnung aus natürlichen Quellen ist.
-
Die Behandlung der stereochemischen Problematik, die sich bei
einer Totalsynthese zwangsläufig durch die drei Stereozentren
innerhalb des Visnadins ergibt.
-
Das Aufzeigen von Lösungswegen für die Darstellung
der verschiedenen Sauerstofffunktionalitäten in der Zielverbindung
unter Beachtung möglicher Nebenreaktionen.
Abb. 51: Strukturen von Khellin (32), Visnadin (33) und der Stammverbindung
Cumarin (34)
Bei Betrachtung der Struktur von Visnadin fällt auf, daß
viele Merkmale existieren, die eine gezielte Synthese erschweren.
So gibt es zwei cis-ständige Estergruppen an benachbarten chiralen
Kohlenstoffatomen (beide in R-Konfiguration). Einer der Ester trägt
ein weiteres Stereozentrum (S-Konfiguration) in der verzweigten Alkylkette.
Das Michael-System der Cumarineinheit ermöglicht elektrophile
und nucleophile Angriffe, während der Aromat durch die Sauerstoffsubstituenten
für elektrophile Substitutionen aktiviert ist. Die vielen Sauerstoffunktionen
innerhalb des Moleküls können die gezielte Reaktion an einzelnen
O-Zentren stören.
2. Ähnlichkeitssuchen und retrosynthetische Analyse
Zu Beginn der Syntheseplanung wurden mit Visnadin Ähnlichkeitssuchen
im Fluka- und Janssen-Chemikalienkatalog durchgeführt. Die Transformationssuche
"aromatic system including alpha atoms" erbrachte vier Treffer, alle
anderen WODCA-Transformationssuchen verliefen ergebnislos.
Abb. 52: Treffer der Transformationssuche "aromatic system including
alpha atoms"
Man erkennt, daß Visnadin nicht im Angebot der Chemikalienhersteller
Fluka und Janssen ist, da es sonst als Treffer in der Liste von Abb.
52
erscheinen müßte.
Alle gefundenen Verbindungen weisen zwar als Teilstruktur das
substituierte Benzolgerüst des Visnadins auf, jedoch dürfte
sich keine davon als Synthesevorstufe eignen. Calceinblau und Novobiocin
stellen ebenfalls Cumarinderivate dar, doch enthält das Cumaringerüst
Substituenten, die erst abgespalten werden müßten, um zu
einer geeigneten Ausgangsverbindung für Visnadin zu kommen. Im
Falle von Calceinblau stört nur die Methylgruppe an der Doppelbindung,
da die tertiäre Aminfunktion durch Überführung in ein
quartäres Ammoniumsalz und anschließende Substitution einfach
zu entfernen sein müßte. Der Sinn einer Syntheseplanung
sollte jedoch zunächst sein, die Zielverbindung aus einfachen
Edukten aufzubauen, die preiswert zu erhalten sind und ein abzuschätzendes
chemisches Reaktionsvermögen aufweisen.
Aus diesem Grunde findet Calceinblau keine weitere Berücksichtigung
und es wird innerhalb von WODCA eine Substruktursuche mit der Cumarineinheit
des Visnadins durchgeführt. Die hierbei verwendete Anfragestruktur
weist folgende Gestalt auf (!C bedeutet, daß an dieser Position
beliebige Atome außer Kohlenstoff sitzen dürfen):
Abb. 53: Anfrage der Substruktursuche im Janssen-Chemikalienkatalog
Bei dieser Suche werden vier Treffer erhalten, die sich nur
durch den Substituenten an der Ringposition 7 unterscheiden:
Abb. 54: Treffer der Substruktursuche mit der Anfrage aus Abb.
53
7-Hydroxycumarin (4799 Janssen) ist die Verbindung, die von
Reisch und Voerste als Ausgangsmaterial für die enantioselektive
cis-Khellactonsynthese ausgewählt wurde
[41]
. Im folgenden Schema soll dieser Syntheseweg kurz aufgezeigt
werden.
Abb. 55: Enantioselektive cis-Dihydroxylierung von Seselin zu
cis-Khellacton
Die intramolekulare Cyclisierungsreaktion des Alkinylarylethers,
die zu Seselin führt, wird leider im experimentellen Teil von
Lit. [
41
] nicht weiter beschrieben. Es wäre sicherlich interessant
zu erfahren, wieviel Nebenprodukte durch die Ringschlußreaktion
gebildet werden, denn die Ringpositionen 6 und 8 im Alkinylarylether
weisen gegenüber dem intramolekularen elekrophilen Angriff des
Alkinylrestes ähnliche Reaktivitäten auf. Aus diesem Grund
wäre ein solcher Reaktionsvorschlag in der computerunterstützten
Syntheseplanung auch weniger sinnvoll, denn man kann letztendlich
nur im Labor verifizieren, ob sich Seselin in vernünftigen Ausbeuten
durch die Cyclisierungsreaktion erhalten läßt und wie groß
die Anteile der Nebenprodukte sind. Stattdessen hat man in der computerunterstützten
Syntheseplanung eher die Absicht, nach Vorstufen zu suchen, die sich
in eindeutiger Weise durch bekannte chemische Reaktionen in das Syntheseziel
überführen lassen. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei auf
der Suche nach geeigneten Ausgangsmaterialien und die Zerlegung der
Zielverbindung in kleinere Synthesebausteine.
Zu diesem Zwecke wird im Visnadin nach strategischen Bindungen
gesucht. Der Schwerpunkt liegt hierbei zunächst auf Kohlenstoff-Heteroatombindungen.
WODCA findet fünf strategische Bindungen und zeigt diese mit
der entsprechenden Bewertung in der Zielverbindung an.
Abb. 56: Bewertung der strategischen Bindungen in der Zielverbindung
Visnadin (33) durch WODCA
Man sieht, daß die drei Esterbindungen die höchsten
Bewertungen erfahren. Ein Bruch der beiden exocyclischen Bindungen
führt zu den Carbonsäuren Essigsäure (35) und S(+)-2-Methyl-buttersäure
(36), sowie der Synthesevorstufe (+)-cis-(1R, 2R)-Khellacton (37):
Abb. 57: Synthesevorstufen nach Bruch der beiden exocyclischen
Esterbindungen im Visnadin
Sowohl Essigsäure (35) als auch S(+)-2-Methyl-buttersäure
(36) werden von WODCA über eine Identitätssuche im Fluka-Chemikalienkatalog
gefunden (Essigsäure: 06869 Fluka 45726, Preis in DM: 1 l
25,80; S(+)-2-Methyl-buttersäure: 10443 Fluka 66127, Preis in
DM: 1 ml 75,10).
An dieser Stelle taucht bereits ein erstes Syntheseproblem auf:
Die entscheidende Frage ist, ob es möglich sein wird, das cis-Khellacton
(37) zunächst selektiv an der einen Alkoholgruppe mit S(+)-2-Methyl-buttersäure
zu verestern und anschließend die zweite Alkoholgruppe mit Essigsäure
in den entsprechenden Ester umzuwandeln. Ausschlaggebend könnten
hier sterische und auch elektronische Gründe sein, denn die beiden
Hydroxylgruppen weisen unterschiedliche räumliche Umgebungen
auf.
Um der Frage der räumlichen Verhältnisse nachzugehen,
wurde die 3D-Struktur sowohl des cis-Khellactons (37) als auch von
Visnadin (33) mit CORINA V 1.6
[42]
berechnet. Die folgenden Abbildungen zeigen das Ergebnis:
Abb. 58: Darstellung der CORINA 3D-Struktur von cis-Khellacton
aus verschiedenen Perspektiven
Man erkennt die planare Cumarineinheit (Abb.
58
links) und den Tetrahydropyranring in der Halbsesselkonformation
(Abb.
58
rechts). Aus diesen Ansichten geht hervor, daß die Hydroxylgruppe
an C-2 sterisch besser zugänglich sein sollte als die an C-1.
Die sterisch anspruchsvollere Carbonsäure S(+)-2-Methyl-buttersäure
sollte daher bevorzugt die Hydroxylgruppe an C-2 angreifen. Ein Grund,
der jedoch für eine Veresterung an C-1 spricht, ist, daß
die entsprechende Hydroxylgruppe eine intramolekulare Wasserstoffbrücke
zum Sauerstoff 3 der planaren Cumarineinheit ausbildet, wodurch eine
stärkere Polarisierung der H-O-Bindung eintritt und die Nucleophilie
des Hydroxylsauerstoffs erhöht wird. Zudem müssen auch noch
elektronische Gründe berücksichtigt werden, denn die Hydroxylgruppe
an C-1 gehört zu einem Benzylalkohol, während die Hydroxylgruppe
an C-2 an einer aliphatischen Kohlenstoffkette sitzt. Hierdurch werden
unterschiedliche induktive und mesomere Effekte erzeugt, die ebenfalls
Auswirkungen auf das Reaktionsvermögen beider Hydroxylgruppen
haben sollten.
Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß
beide Alkoholgruppen unterschiedliche chemische Eigenschaften aufweisen
sollten und es spricht vieles dafür, daß Bedingungen gefunden
werden können, die die gewünschte Regioselektivität
des Veresterungsschrittes herbeiführen, evt. unter Einsatz voluminöser
Alkoholschutzgruppen wie Dihydropyran oder Tertiärbutylsilylchlorid.
Ob dies jedoch für eine effektive Synthese des Visnadins ausreichend
ist, kann letztendlich nur durch Laborexperimente geklärt werden.
Abb. 59: Darstellung der CORINA 3D-Struktur von Visnadin aus
verschiedenen Perspektiven
Die CORINA 3D-Struktur des Visnadins bestätigt die vorab
angestellten Überlegungen zur räumlichen Anordnung der beiden
Estergruppierungen. Es zeigt sich, daß die S(+)-2-Methyl-buttersäureestereinheit
nahezu senkrecht auf der Ringebene des Moleküls steht, während
der Essigsäureester nur minimal aus der Ringebene herausragt.
Als dritte strategische Bindung wurde von WODCA die cyclische
Esterbindung in der Cumarineinheit des Visnadins bestimmt (siehe Abb.
56
). Ein Bruch dieser ebenfalls mit 100 bewerteten Bindung im cis-Khellacton
(37) führt zur Synthesevorstufe (38):
Abb. 60: Synthesevorstufe (38) nach Hydrolyse der Cumarinesterbindung
im cis-Khellacton (37)
Mit Verbindung (38) wurden erneut Ähnlichkeitssuchen im
Janssen- und Fluka-Chemikalienkatalog durchgeführt. Die Transformationssuche
"aromatic system including alpha atoms" ergab dieselben Verbindungen,
wie die, die in Abb.
52
auf Seite
79
enthalten sind. Die Transformationssuche "largest ring system"
führte zu 20 Treffern im Fluka-Katalog:
Abb. 61: Treffer der Transformationssuche "largest ring system"
mit Synthesevorstufe (38) im Fluka-Katalog
Die gleiche Transformationssuche ergab im Janssen-Katalog 15
Treffer (Abb.
62
,
Seite 86
):
Abb. 62: Treffer der Transformationssuche "largest ring system"
mit Synthesevorstufe (38) im Janssen-Katalog
Die Durchsicht der erhaltenen Treffer zeigt, daß keine
der gefundenen Verbindungen auf einfache Weise in Synthesevorstufe
(38) überführt werden kann. Geeignet sind nur solche Verbindungen,
die bereits das richtig substituierte Benzolgerüst von (38) aufweisen
oder einen einfachen Aufbau desselben erlauben. Am ehesten trifft
dies auf 4-Hydroxycumarin (4798 Janssen bzw. 08342 Fluka) zu, doch
wären auch hier viele Reaktionsschritte notwendig, die zudem
noch Unwägbarkeiten bezüglich der Regioselektivität
enthalten, so daß zunächst versucht werden soll, Synthesevorstufe
(38) weiter zu vereinfachen.
Es wird daher erneut nach strategischen Bindungen gesucht. Diesmal
liegt der Schwerpunkt auf Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungsbrüchen,
denn das zusammenhängende Kohlenstoffgerüst soll in kleinere
C-Einheiten zerlegt werden. WODCA findet zwei strategische Bindungen
und bewertet diese folgendermaßen:
Abb. 63: Strategische Bindungen in Synthesevorstufe (38)
Bei Verbindung (38) handelt es sich um eine
,
-ungesättigte Carbonsäure.
Diese werden im allgemeinen aus Säureanhydrid und aromatischen
Aldehyden hergestellt (Perkin-Reaktion). Um zu diesen Vorstufen zu
kommen, wird die mit 100 bewertete Bindung in diesem Sinne gebrochen.
Man erhält Essigsäure und den aromatischen Aldehyd (39):
Abb. 64: Synthesevorstufe (39)
Die Transformationssuchen "aromatic system including alpha atoms"
und "largest ring system" liefern mit Synthesevorstufe (39) die gleichen
Ergebnisse wie mit Synthesevorstufe (38) (Abb.
61
und Abb.
62
), da durch die Spaltung der Doppelbindung keine Änderung
des Ringsubstitutionsmusters eingetreten ist. Dieses ist jedoch für
beide Transformationssuchen ausschlaggebend.
Die Transformationssuche "carbon skeleton and alpha atoms" mit
Essigsäure als Anfrageverbindung ergibt 90 Treffer, unter denen
sich auch Essigsäureanhydrid (6891 Fluka) befindet, welches für
die Perkin-Reaktion benötigt wird.
Eine Suche nach strategischen Kohlenstoff-Heterobindungen innerhalb
von (39) führt schließlich zu folgender Bewertung:
Abb. 65: Strategische Kohlenstoff-Heterobindung in Vorstufe (39)
mit nachfolgender Bindungsspaltung
WODCA schlägt die Spaltung der Bindung zwischen Pyransauersoff
und benachbartem Kohlenstoffatom unter gleichzeitiger Eliminierung
eines Protons vor, so daß eine C=C-Doppelbindung wie in (40a)
entsteht. Der Pyranring ist also die Folge der intramolekularen nucleophilen
Addition einer Hydroxylgruppe an die C=C-Doppelbindung (Abb.
65
: gestrichelter Reaktionspfeil). Diese Bewertung ist jedoch problematisch,
da Verbindung (40a) ein Enol darstellt, welches augenblicklich zum
entsprechenden Keton (40b) tautomerisiert. Dieses läßt sich
jedoch nicht mehr zum Pyran (39) cyclisieren, sondern allenfalls in
das cyclische Halbacetal (41) überführen. Besser erscheint
es, den Ringschluß über eine intramolekulare Substitutionsreaktion
im alkalischen Medium zu erzwingen (Abb.
66
: gestrichelter Reaktionspfeil):
Abb. 66: Alternativer Bindungsbruch innerhalb des Pyranrings
Die mit 100 bewertete strategische Bindung wird also gemäß
Abb.
66
gebrochen. Hieraus ergibt sich ein Problem: In Verbindung (40c)
stehen zwei äquivalente Hydroxylgruppen für den Ringschluß
zu Verfügung: Die eine ist zur Aldehydgruppe ortho-, die andere
para-ständig.
Die ortho-ständige Hydroxylgruppe bildet eine intramolekulare
Wasserstoffbrücke zum Carbonylsauerstoff des Aldehyds aus, wodurch
die Nucleophilie des Sauerstoffs erhöht wird. Da der intramolekulare
Ringschluß aber über die para-ständige Hydroxylgruppe
erfolgen soll, kann man nur dann zu dem gewünschten Produkt gelangen,
wenn die Aldehydgruppe erst nach der Ringschlußreaktion an den
Aromaten geknüpft wird und man von einer symmetrischen Vorstufe
ausgeht (siehe Abschnitt
3
.:
Syntheseplan für Visnadin auf Seite
95
).
Die Transformationssuche "ring substitution positions" liefert
für Verbindung (40c) 24 Treffer im Janssen-Katalog und 12 Treffer
im Fluka-Katalog:
Abb. 67: Treffer der Transformationssuche "ring substitution
positions"
mit Synthesevorstufe (40c) im Janssen-Katalog
Abb. 68: Treffer der Transformationssuche "ring substitution
positions"
mit Synthesevorstufe (40c) im Fluka-Katalog
Alle gefundenen Treffer tragen wie die Anfrageverbindung (40c)
als gemeinsames Strukturmerkmal ein 1,2,3,4-tetrasubstituiertes Benzolgerüst.
Leider findet sich keine Verbindung, die auch die entsprechenden
-Atome von (40c) trägt:
An den Ringpositionen 1 und 3 Kohlenstoffsubstituenten und an den
Ringpositionen 2 und 4 Sauerstoffsubstituenten. Dadurch ist es nicht
möglich, auf einfachem Wege Verbindung (40c) aus einem Treffer
in Abb.
67
oder
68
aufzubauen.
Zu Beginn der Diplomarbeit wurden bereits Ähnlichkeitssuchen
mit 1,2,3,4-tetrasubstituierten Aromaten im Janssen-Feinchemikalienkatalog
durchgeführt. Es konnte gezeigt werden, daß Substruktursuchen
aufgrund der Verwendung von Platzhalteratomen und ungesättigten
Atomen mit freien Valenzen eine sinnvolle Ergänzung zu Transformationssuchen
darstellen. Bei der Suche nach geeigneten Synthesevorstufen für
Verbindung (40c) ist es notwendig, nur solche Verbindungen zu erhalten,
die das passende Substitutionsmuster mit den entsprechenden
-Atomen von (40c) aufweisen.
Dieses kann in einer Substruktursuche über die Anfragestruktur
explizit vorgegeben werden.
Abb. 69: Anfrage für die Substruktursuche im Janssen-Chemikalienkatalog.
C und O weisen freie Valenzen auf
Der einzige Treffer, der bei der Substruktursuche im Janssen-Chemikalienkatalog
erhalten wird, ist das Insektizid Rotenon, welches nicht bei den vorangegangenen
Transformationssuchen erscheint. Diese Verbindung war bereits Gegenstand
einer WODCA-Syntheseplanungsstudie
[43]
.
Abb. 70: Treffer der Substruktursuche im Janssen-Katalog
Trotz des passenden Ringsubstitutionsmusters ist auch Rotenon
keine geeignete Synthesevorstufe für Verbindung (40c), denn hierzu
müßte das Kohlenstoffgerüst aufgespalten werden. Daher
wird versucht, (40c) in weitere Synthesebausteine zu zerlegen.
Wie schon angesprochen, ist es ratsam, die Aldehydgruppe erst
nach der Ringschlußreaktion an den Aromatenkern zu knüpfen.
Es wird daher entschieden, die entsprechende Bindung in (40c) von
WODCA brechen zu lassen, obwohl sie nicht als strategisch eingestuft
wird (für diese Problematik sind noch Methoden zu entwickeln).
Man erhält hierdurch den trisubstituierten Aromaten (42). Die
Reimer-Tiemann-Reaktion ist eine für diesen Syntheseschritt sicherlich
geeignete Reaktion (ortho-Formylierung von Phenolen im alkalischen
Medium). Eine Alternative könnte auch die Kolbe-Schmitt-Reaktion
(ortho-Carboxylierung von Phenolen im alkalischen Medium) mit anschließender
Reduktion der Säure zum Aldehyd sein (siehe Abschnitt
3
.:
Syntheseplan für Visnadin auf Seite
95
).
Abb. 71: Abspaltung der Formylgruppe
Ein wichtiges Strukturmerkmal von (42) ist die cis-Stellung
der beiden Hydroxylgruppen an benachbarten Positionen der Alkylkette.
Cis-Diole lassen sich aus olefinischen Doppelbindungen durch Oxidation
mit Kaliumpermanganat, Iod/Silberacetat oder auch mit Osmiumtetroxid/Wasserstoffperoxid
erhalten. Verbindung (42) könnte folglich aus einem Styrolderivat
hervorgegangen sein:
Abb. 72: Verbindung (43) als Synthesevorstufe für das cis-Diol
(42)
Mit dem Styrolderivat (43) wurden erneut Ähnlichkeitssuchen
im Janssen- und Fluka-Feinchemikalienkatalog durchgeführt. Die
Transformationssuche "aromatic system including alpha atoms" erzielte
insgesamt 10 Treffer in beiden Katalogen. Die Substruktursuche mit
der Anfragestruktur, die in Abb.
73
rechts unten gezeigt ist, ergab mit Sterigmatocystin (7408 Janssen)
einen zusätzlichen Treffer.
Abb. 73: Liste aller Treffer der Transformationssuche "aromatic
system including alpha atoms"
mit Verbindung (43) und der Substruktursuche mit der Anfragestruktur
im Feld rechts unten
2,6-Dihydroxybenzoesäure (3182 Janssen und 05729 Fluka)
wird in beiden Katalogen gefunden und ist für die Synthese von
(43) wohl am besten geeignet. Der Aufbau der Doppelbindung erfolgt
über eine Aldolkondensation. Zuvor muß jedoch noch die Carboxylfunktion
in die entsprechende Aldehydgruppe überführt werden. 2,6-Dihydroxybenzaldehyd
wird anschließend mit Aceton zum gewünschten Olefin umgesetzt
und an der Carbonylfunktion methyliert (die einzelnen Syntheseschritte
werden im Abschnitt
3
.:
Syntheseplan für Visnadin auf Seite
95
noch ausführlich behandelt). Die Gefahr der Selbstkondensation
des Acetons sollte bei Verwendung einer Benzaldehydkomponente und
stöchiometrischer Umsetzung der Edukte nicht bestehen, da das
deprotonierte Aceton bevorzugt die reaktivere Benzaldehydgruppe angreift
und nicht mit einem weiteren Acetonmolekül reagiert, welches
im alkalischen Medium in der Enolatform vorliegt.
Geeignete Synthesevorstufen für Verbindung (43) sind ebenfalls
die Treffer 2,6-Dimethoxybenzoesäure (nach Etherspaltung und
Reduktion zum Aldehyd), 2,6-Dihydroxytoluol (nach Oxidation der Methylgruppe),
2,6-Dimethoxybenzoesäurenitril (nach Etherspaltung und Hydrolyse
der Cyanogruppe) und 2,6-Dimethoxytoluol (nach Etherspaltung und Oxidation
der Methylgruppe). Sterigmatocystin weist ein zu komplexes Kohlenstoffgerüst
auf, als daß es als Ausgangsverbindung für (43) dienen könnte.
Ein alternativer Syntheseweg verläuft über die Perkin-Reaktion
und ergibt eine
,
-ungesättigte Carbonsäure.
Diese wird verestert und über die Grignard-Reaktion in das Styrolderivat
(43) überführt (anstatt CH
3
MgBr könnte alternativ auch MeLi verwendet werden, falls
das Grignard-Reagens zur 1,4-Addition neigt):
Abb. 74: Alternativer Syntheseweg für das Styrolderivat
(43)
Nachdem nun die Rückführung der Zielverbindung auf
geeignete, kommerziell erhältliche Synthesevorstufen gelungen
ist, kann im folgenden Kapitel ein Laborsyntheseplan für Visnadin
vorgeschlagen werden.
3. Syntheseplan für Visnadin
Ausgangsverbindung für die Visnadin-Synthese ist 2,6-Dihydroxybenzoesäure
(44, Fluka 05729, Janssen 3182), welche im schwach sauren Medium mit
Isobuten an den Alkoholgruppen verethert und an der Carboxylgruppe
in den entsprechenden t-Butylester (44a) überführt wird.
Über die McFadyen-Stevens Reduktion erhält man dann aus
dem Ester selektiv 2,6-Di-t-butoxybenzaldehyd (45):
Abb. 75: Erzeugung von 2,6-Di-t-butoxybenzaldehyd (45)
Die Umsetzung von (45) mit Aceton liefert im alkalischen Medium
über eine Aldolkondensation 2,6-Di-t-butoxy-(E)-benzylidenaceton
(46):
Abb. 76: Erzeugung von 2,6-Di-t-butoxy-(E)-benzylidenaceton (46)
Die Oxidation der C=C-Doppelbindung von (46) zum cis-Diol erfolgt
mit katalytischen Mengen Osmiumtetroxid und Wasserstoffperoxid. Zum
Schutz der neu entstandenen Alkoholgruppen werden diese mit Aceton
in das Acetonid (47) überführt:
Abb. 77: Erzeugung des Acetonids (47)
Die Alkylierung von (47) mit Methyllithium am Carbonylkohlenstoff
führt nach anschließender Hydrolyse zu Verbindung (48):
Abb. 78: Erzeugung von (48)
Im schwach sauren Medium werden die Schutzgruppen abgespalten
und es setzt eine intramolekulare Ringschlußreaktion mit einer
der beiden Phenolgruppen ein. Hierdurch wird unter Wasserabspaltung
von der tertiären Alkoholgruppe das Chromanderivat (49) gebildet:
Abb. 79: Erzeugung des Chromanderivates (49)
Im alkalischen Medium wird über die Reimer-Tiemann-Reaktion
der Benzolkern in ortho-Stellung zur Hydroxylgruppe formyliert: Man
erhält ein Salicylaldehydderivat (39). Der Angriff des Dichlorcarben
erfolgt hierbei selektiv in ortho-Stellung zur Hydroxylgruppe, da
nur diese von der Base deprotoniert werden kann und das entstehende
Phenolat den Aromatenkern an entsprechender Position aktiviert
[44]
.
Abb. 80: Erzeugung der Verbindung (39)
Die Umsetzung von (39) mit Essigsäureanhydrid liefert im
alkalischen Medium (Natriumacetat) eine
,
-ungesättigte Carbonsäure
(50, Perkin-Reaktion), die an der Doppelbindung (Z)-Konfiguration
aufweist
[45]
.
Um Veresterungsreaktionen mit dem Säureanhydrid auszuschließen,
müssen vorher jedoch alle Alkoholgruppen als Tetrahydropyranylether
(39a) geschützt werden. Im schwach sauren Medium können
die Alkoholschutzgruppen dann wieder abgespalten werden, und es bildet
sich das cis-Khellacton (37), ohne daß der Pyranring geöffnet
wird (Reaktionsschema auf der folgenden Seite).
Abb. 81: Erzeugung des cis-Khellactons (37)
Um vom cis-Khellacton (37) zum Visnadin (33) zu kommen, müssen
die beiden Alkoholgruppen mit Essigsäure bzw. S(+)-2-Methyl-buttersäure
regioselektiv verestert werden. Die Betrachtung der CORINA 3D-Struktur
von (37) und (33) hatte ergeben (siehe
Seite 82
und
Seite 83
), daß die beiden Hydroxylgruppen bzw. Estergruppen an C-1
und C-2 unterschiedliche räumliche Umgebungen aufweisen, so daß
bei Verwendung sperriger Alkoholschutzgruppen über die sterische
Hinderung eine selektive Veresterung möglich sein sollte.
Läßt sich jedoch schon über die Größe
der eingesetzten Carbonsäuren die gewünschte Regioselektivität
des Veresterungsschrittes erreichen, so werden besser nicht die freien
Säuren, sondern ihre entsprechenden reaktionsfähigeren Acylhalogenide
verwendet:
Abb. 82: Erzeugung der Zielverbindung Visnadin (33)
Die entstehende Bromwasserstoffsäure muß natürlich
abgefangen werden, damit die Esterbindungen keine Hydrolyse erleiden.
Durch die Veresterungsreaktionen in Abb.
82
erhält man so die Zielverbindung Visnadin (33) in einer
insgesamt über 13 Stufen verlaufenden Synthese.
4. Stereochemische Betrachtungen
Im vorangegangenen Kapitel konnte ein Syntheseplan für
Visnadin erstellt werden. Zu beachten ist, daß der unmittelbare
Vorläufer des Visnadins, cis-Khellacton (37), in Form eines Racemats
der (9R, 10R)- bzw. (9S, 10S)-Form erhalten wird, da die Oxidation
der Doppelbindung, die zum cis-Diol verläuft, auf beiden Molekülseiten
von (46) mit der gleichen Wahrscheinlichkeit abläuft (Abb.
77
,
Seite 96
). Die Veresterung dieses Racemats mit der chiralen S(+)-2-Methyl-buttersäure
ergibt zwei Diastereomere in der (RRS)- und (SSS)-Form, welche unterschiedliche
physikalische Eigenschaften aufweisen, so daß eine Trennung in
die einzelnen Diastereomere des Visnadins möglich ist (fraktionierte
Kristallisation).
Es gibt in der Chemie mittlerweile verschiedene Möglichkeiten,
eine enantioselektive Synthese bestimmter Substanzen aus achiralen
Vorstufen durchzuführen. Häufig kommen hierbei chirale Hilfsreagentien
wie bei Reisch und Voerste zum Einsatz, die für ihre enantioselektive
cis-Dihydroxylierung Dihydrochinidin-9-O-(4'-methyl-2'-chinolyl)ether
verwendeten. Die Sharpless-Epoxidierung ist ein weiteres Beispiel
für eine solche Synthesemöglichkeit: Titan(IV)-isopropylat
und (+)- bzw. (-)-Diethyltartrat induzieren eine asymmetrische Oxiranbildung
[46]
. Voraussetzung für die Durchführung dieser Reaktion
ist die Anwesenheit einer Allylalkoholgruppierung, an der die Epoxidierung
stattfindet. Diese Funktionalität liegt in (43) bereits vor.
Alternativ ließe sie sich auch durch Umsetzung von (46) mit Methyl-Lithium
aufbauen. Es ergibt sich jedoch das Problem, daß das Endprodukt
dieser Reaktions-sequenz ein Epoxid darstellt, welches bei der Ringöffnung
nur in ein trans-Diol überführt werden kann. Im Visnadin
weisen die beiden exocyclischen Estergruppierungen jedoch cis-Konfiguration
auf, so daß für die enantioselektive Synthese dieser Verbindung
die Sharpless-Epoxidierung nicht eingesetzt werden kann.
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