Client-Server-basierte Visualisierung
Bei dem in Kapitel 2 vorgestellten Begriff der Visualisierungspipeline wurde
zunächst angenommen, dass die einzelnen Verarbeitungsstufen von den Rohdaten
bis hin zur Repräsentation auf einem einzigen System ausgeführt werden. Eine
Erweiterung dieses lokalen Ansatzes wurde in Kapitel 3 vorgestellt (vgl. Abschnitt
3.3.3). Dabei wurden die diversen Visualisierungsstufen
flexibel zwischen Client und Server verteilt, wodurch die Nutzung von sowohl
Client- als auch Server-seitig vorhandenen Rechen- und Graphikkapazitäten
gewährleistet wird. Dieses Kapitel beschreibt die im Rahmen dieser Arbeit
entwickelten Applikationen, die eine verteilte Verarbeitung und Visualisierung
chemischer Daten auf Client- und Server-Systeme erlauben. Dabei werden neben
den Aspekten der Implementierung auch die Vor- und Nachteile der vorgestellten
Anwendungen gegenüber Internet-Standardapplikationen diskutiert.
Der erste Teil des Kapitels widmet sich zunächst den sogenannten hybriden
Ansätzen. Nach einer kurzen Erläuterung der Prinzipien der hybriden Strategie
werden vier entsprechende, Internet-fähige Anwendungen vorgestellt: Der VRML
File Creator for Chemical Structures dient zur plattformunabhängigen
Berechnung und Darstellung chemischer 3D-Strukturen. Der VRML-Animationsgenerator
ermöglicht eine portable Visualisierung molekularer Animationen. ComSpec3D
erlaubt die Berechnung und Visualisierung von Raman- und IR-Spektren und gestattet
die animierte Darstellung der korrespondierenden Normalschwingungen. MolSurf
dient zur Berechnung und Visualisierung molekularer Oberflächen.
Im zweiten Teil werden Applikationen beschrieben, die auf sogenannten Client-seitigen
Strategien basieren. Dabei wird die OrbVis-Applikation
vorgestellt, die zur Berechnung und Visualisierung von Molekülorbitalen dient.
Der letzte Teil des Kapitels erläutert schließlich die Prinzipien der Server-seitigen
Visualisierungsstrategien. Abschließend werden die Vor- und Nachteile der
einzelnen Visualisierungsstrategien diskutiert.
Eine möglichst günstige Verteilung der Visualisierungsaufgaben zwischen Client
und Server ist das Ziel hybrider Ansätze (Abbildung
4-1).
Durch die Aufteilung der Aufgaben sollen sowohl Client- als auch Server-seitige
Speicher- und Rechenkapazitäten optimal genutzt werden. Dabei wird gleichzeitig
die Minimierung der Netzwerklast angestrebt.
Abb. 4-1: Hybride Strategien.
Die Aufteilung der Visualisierungspipeline kann dabei auf vielfältige Weise
geschehen. Einige Beispiele sowie ihre Vor- und Nachteile werden auf den folgenden
Seiten erläutert. Dabei werden vor allem VRML-Ansätze besprochen, die ebenfalls
zu den hybriden Ansätzen zu zählen sind. Die VRML-Szene wird dabei in der
Regel auf dem Server generiert und anschließend auf dem Client gerendert.
4.1.2 VRML-Generator für chemische Austauschdateien
Neben den Arbeitsgruppen von Brickmann und Rzepa beschäftigte sich auch die
Arbeitsgruppe von Gasteiger früh mit dem Medium VRML. Das Resultat war ein
generischer VRML-Szenengenerator für Moleküldaten [
103].
Der Online-Dienst akzeptierte die wichtigsten chemischen Austauschformate
als Eingabeformat sowie zahlreiche Visualisierungsoptionen und produzierte
eine statische VRML1.0-Szene.
Im Rahmen dieser Arbeit wurde dieser Service vollkommen überarbeitet. Die
generierten 3D-Szenen basieren auf den weiterentwickelten VRML97-Standard
und zeigen, welche Optionen in Hinsicht auf Benutzerinteraktion und Dynamik
mit Hilfe des neuen Formats möglich sind. Der Service soll zudem als Basis
für weitere Entwicklungen dienen.
4.1.2.2 Funktionsbeschreibung
Abb. 4-2: VRML-Dateigenerator: Eingabeformular.
(Hier
geht es zum Online-Service.)
Abbildung
4-2 zeigt das Eingabeformular
des Online-Dienstes. Im oberen Teil des Formulars (
Structure
Source) kann der Benutzer die chemischen Strukturdaten eingeben. Dabei
kann grundsätzlich zwischen zwei Alternativen gewählt werden. Das obere Eingabefeld
akzeptiert die sehr kompakte und lineare Notation SMILES der Firma
Daylight
[
104]. Benutzer mit entsprechender
Erfahrung im Umgang mit der Syntax von SMILES können auf diese Weise einfache
Strukturbeschreibungen eingeben. Im Regelfall benutzen Chemiker jedoch Struktureditoren
wie
ChemWindow
[
105] oder
ChemDraw
[
106]. Da diese Applikationen
das SMILES-Format als Ausgabe unterstützen, kann durch
Copy
& Paste der SMILES-String in das Eingabefeld kopiert werden. Der
Online-Dienst wurde zudem mit einem Java-basierten Struktureditor [
12]
ausgestattet, der eine schnelle und unkomplizierte 2D-Struktureingabe sowie
eine nachfolgende 3D-Strukturgenerierung auf dem Server ermöglicht.
Die zweite Möglichkeit zur Struktureingabe bietet eine Upload-Funktion zur
Übermittlung eigener chemischer Dateien. Der Service unterstützt zur Zeit
über vierzig gängige Austauschformate, die sowohl zweidimensionale als auch
dreidimensionale Koordinaten enthalten können. Liegen in einer Datei dreidimensionale
Koordinaten vor, so werden diese für die Generierung der VRML-Szene herangezogen.
Im Fall der SMILES-basierten Eingabe oder bei der Vorlage zweidimensionaler
Austauschformate werden die dreidimensionalen Strukturen automatisch mit CORINA
generiert.
Viele der bekannten chemischen Austauschformate wie beispielsweise das PDB-Format
enthalten keine Information über die in der Verbindung enthaltenen Wasserstoffatome.
Bei der Betrachtung der Struktur wird daher oft nicht deutlich, ob ein bestimmtes
Atom als Radikal, Carben oder gesättigtes Atom vorliegt. Aus diesem Grunde
vervollständigt die Applikation die Wasserstoffpositionen automatisch. Diese
Funktion kann bei Bedarf auch deaktiviert werden.
Neben der Struktureingabe verfügt die Anwendung über zahlreiche Visualisierungsparameter.
Die wichtigste Option stellt dabei die Wahl des Molekülmodells dar. Neben
der Auswahl einzelner in der Chemie üblicher Standard-Visualisierungen (
Ball
& Stick,
Capped,
Wireframe
und CPK) kann auch eine Repräsentation gewählt werden, die einen interaktiven
Wechsel zwischen den vier Modellen erlaubt. Dieser Wechsel wird mit Hilfe
eines dreidimensionalen Knopfes in der VRML-Szene realisiert (siehe Abbildung
4-3a).
Neben der Wahl der Moleküldarstellung können zudem weitere Visualisierungsparameter
definiert werden. Der Benutzer hat die Möglichkeit Bindungsfarbe und Bindungsradien
zu definieren und kann entscheiden, ob die Bindungsordnung ebenfalls dargestellt
werden soll. Beim Vorliegen von Mehrfachbindungen wird dabei ein spezieller
Algorithmus zur Anordnung der Bindungen eingesetzt. Die Bindungen werden unterhalb
und oberhalb der Fläche positioniert, die sich aus der Anordnung der Bindungsatome
und der Atome in a-Stellung
ergibt. Diese Ausrichtung entspricht in erster Näherung der Anordnung der
p-Orbitale.
Der Online-Dienst ist nicht nur in der Lage, dreidimensionale Strukturen zu
repräsentieren. Die dargestellten Moleküle können nach Belieben mit einfachen
atomaren Eigenschaften wie Atomsymbolen, Ordnungszahlen, Polarisierbarkeit
oder
s-Ladung
versehen werden. Diese Eigenschaften werden automatisch berechnet, soweit
sie noch nicht bekannt sind (Abbildung
4-3b).
Abb. 4-3: VRML-Szene mit Strukturdarstellungen von 3,5-Diaminophenol: a)
Ball
& Stick-Repräsentation, interaktiver Schalter zum Umschalten der
Strukturdarstellung; b)
Wireframe-Repräsentation
mit
s-Ladungen;
c)
CPK-Modell;
d)
Capped-Darstellung
(Farbabbildung: Anhang A, Abb.
A-1).
Zum
Öffnen der 3D-Szene bitte auf das Bild klicken!
VRML wurde für den Transport von dreidimensionalen Szenen im Internet entworfen.
Daher enthalten VRML-Szenen keine Angaben über Atome und Bindungen sondern
lediglich graphische Objekte. Um dennoch eine chemische Weiterverarbeitung
der VRML-Szenen zu gewährleisten, wurde der Online-Dienst mit einer speziellen
Funktion ausgestattet. Mit Hilfe dieser Funktion wird die chemische Information
über das dargestellte Molekül direkt in der VRML-Szene abgelegt. Die Daten
werden dazu mit Hilfe der xdr-Bibliothek von
CACTVS
(vgl. Abschnitt
2.3.1) plattformunabhängig
kodiert und anschließend im Base64-Format in einem spezifischen, selbstdefinierten
VRML-Knoten gespeichert.
VRML-Viewer bieten im Gegensatz zu traditionellen Molekülgraphikprogrammen
keine Standardoptionen wie das Vermessen von Bindungsabständen und -winkeln
sowie Torsionswinkeln. Der VRML-Strukturgenerator stellt diese Funktionalität
bereit. Mit Hilfe in die VRML-Szene integrierter Skripte können die notwendigen
Berechnungen direkt in der Szene auf der Clientseite vorgenommen werden (Abbildung
4-4). Durch Anklicken der entsprechenden
Atome erhält der Benutzer Auskunft über die Koordinaten des selektierten Atoms,
den Bindungsabstand der beiden zuletzt selektierten Atome, den Bindungswinkel
der letzten drei Atome und dem Torsionswinkel zwischen den vier zuletzt gewählten
Atomen.
Abb. 4-4: VRML-Szene: Ball & Stick-Modell mit Berechnungsfunktion (Farbabbildung:
Anhang A, Abbildung
A-2).
Zum
Öffnen der 3D-Szene bitte auf das Bild klicken!
Der Online-Dienst verfügt über weitere Optionen, die jedoch lediglich der
graphischen Manipulation der Szene dienen und daher an dieser Stelle nicht
näher erläutert werden.
Der VRML-Strukturgenerator wurde wie viele der in dieser Arbeit vorgestellten
Anwendungen nicht als Standalone-Applikation entwickelt, sondern als Visualisierungsmodul
des chemischen Managementsystems CACTVS.
Dieser Ansatz birgt eine Reihe von Vorteilen, die im Folgenden näher beschrieben
werden.
Herzstück der Anwendung ist das im Rahmen dieser Arbeit weiterentwickelte
CACTVS-Modul
E_VRML.
Das Modul setzt sich dabei aus drei wichtigen Teilen zusammen: dem Beschreibungsabschnitt,
dem Methodenabschnitt und den Parameterabschnitt. Der Beschreibungsteil dient
dabei zur Kommunikation mit der CACTVS-Kernbibliothek
und liefert Informationen über die verwendete Methodensprache, den Datentyp,
die Funktion des Moduls und vor allem über die Abhängigkeiten von anderen
CACTVS-Modulen.
Die definierten Abhängigkeiten des VRML-Moduls besagen, dass eine VRML-Szene
nur dann generiert werden kann, wenn die Kernbibliothek Kenntnis von den dreidimensionalen
Koordinaten, den Atomtypen und den Bindungsordnungen des vorliegenden Moleküls
hat. Die Methoden des Moduls dienen dabei lediglich der Generierung des VRML-Szenengraphen,
da das Modul nicht für das Einlesen und das Management der chemischen Daten
zuständig ist.
Alle dafür notwendigen Daten wie 3D-Koordinaten, Atomtypen etc. als auch Information,
die sich aus den bereits bekannten Daten ableiten lassen wie beispielsweise
die Farbcodierung eines Atoms oder die s-Ladung,
werden direkt von der Kernbibliothek abgefragt. Der dritte Teil des Moduls
enthält alle Parameter zur Steuerung der Szenengraphen-Generierung. Diese
Parameter entsprechen dabei den Parametern im HTML-Formular.
Abb. 4-5: Schematische Darstellung einer VRML-Strukturgeneratorsitzung.
Das VRML-Modul ist wie alle anderen Module des
CACTVS-Systems
über die Tcl-Kommandosprache des
CACTVS-Systems
zugänglich (vgl. Abschnitt
2.3.1.2). Diese
Architektur erlaubt die Entwicklung von sehr kleinen, auf der
CACTVS-Kommandosprache
basierenden CGI (
Common
Gateway
Interface)-Skripten,
welche die HTML-basierten Benutzereingaben direkt an die Kernbibliothek weiterleiten
können (Abbildung
4-5).
Der Vorteil dieser Architektur wird bei der Betrachtung einer typischen Visualisierungssitzung
des Online-Dienstes deutlich. Nachdem das CGI-Skript die Strukturdaten als
auch die Visualisierungsparameter aus dem HTML-Formular entgegengenommen hat,
werden in einem initialen Schritt die Strukturinformation an die Kernbibliothek
weitergeleitet. Sowohl im Fall von SMILES-Strings als auch beim Vorliegen
von chemischen Austauschformaten erfolgt dies durch einen einzigen Befehl.
Während der SMILES-String direkt in die interne Repräsentation der Kernbibliothek
umgewandelt werden kann, muss die chemische Formatdatei noch erst gelesen
und analysiert werden. Das Kernsystem ermittelt dabei vollkommen automatisch,
um welches Austauschformat es sich handelt, sucht nach einer entsprechenden
Leseroutine und lädt schließlich sämtliche dort enthaltenen Daten in das System.
In einem zweiten Schritt modifiziert das CGI-Skript die Parametereinstellungen
des VRML-Moduls. Diese Einstellungen wie beispielsweise die Wahl der Darstellungsform
entsprechen dabei wie bereits erwähnt den Benutzereinstellungen im HTML-Formular
und lassen sich ebenfalls durch ein paar Zeilen CGI-Code realisieren. Damit
wurden alle wichtigen Daten an das System übergeben. Das CGI-Skript fordert
nun nur noch die entsprechende VRML-Szene von der Kernbibliothek an. Alle
dafür notwendigen Schritte laufen dabei vollkommen automatisch und im Hintergrund
ab. Das System prüft in einem ersten Schritt, ob es ein Modul findet, welches
VRML-Szenen generieren kann. Nachdem es das Modul lokalisiert hat, überprüft
es die im Modul definierten Abhängigkeiten und stellt fest, dass zur Generierung
von VRML-Szenen unter anderem dreidimensionale Koordinaten notwendig sind.
Falls dem System von CGI-Skript eine Austauschdatei mit dreidimensionalen
Daten übergeben wurde, hat das Kernsystem bereits Kenntnis über die 3D-Information
und das VRML-Modul wird entsprechend seiner Parametereinstellungen ausgeführt.
Falls dem System jedoch nur SMILES-Strings oder zweidimensionale Austauschformate
übergeben wurden, sucht das System durch automatische Lookup-Mechanismen nach
einem Modul, das für die Generierung dreidimensionaler Daten geeignet ist.
Dieses Modul startet nach seiner Identifizierung den 3D-Strukturgenerator
CORINA
(vgl. Abschnitt
2.3.2) und liefert die
geforderten 3D-Koordinaten an das System. Im Anschluss erfolgt auch hier die
Generierung der VRML-Szene. Nochmal zur Verdeutlichung: Alle zuletzt beschriebenen
Schritte innerhalb der Kernbibliothek erfolgen vollkommen automatisch nach
Aufruf eines einzigen Kommandos im CGI-Skript, dessen Rückgabewert die temporäre
VRML-Szene ist. Die generierte VRML-Szene wird letztendlich an den Browser
übermittelt.
Seit Einführung der Virtual
Reality Modelling Language nutzt die Chemie diesen Internet-Standard
als alternatives Medium zur plattformunabhängigen Darstellung chemischer Information.
Bei näherer Betrachtung der aktuellen VRML-basierten Standardlösungen in der
Chemie fällt jedoch auf, dass der Großteil der im Internet befindlichen VRML-Dateien
statische Szenen mit geringen oder keinen Möglichkeiten an Interaktivität
repräsentieren. Die Generierung dieser Szenen wird dabei in der Regel durch
moderne, plattformabhängige Modelling-Programme bewerkstelligt, die über eine
entsprechende VRML-Exportfunktion verfügen. Diese Darstellung ermöglicht dem
Betrachter zwar Einblick in die Problematik des Autors, erlaubt jedoch weder
weitergehende interaktive Modifizierungen der repräsentierten chemischen Daten
noch die Lösung eigener Problemstellungen.
Die Generierung von VRML-Szenen zur Darstellung eigener chemischer Problemstellungen
kann insbesondere innerhalb der wissenschaftlichen Ausbildung häufig nicht
durch den Einsatz kostspieliger, kommerzieller Programme realisiert werden.
Darüber hinaus stellt der Einsatz solcher Programmpakete zur Generierung von
VRML-Szenen auch im Bereich der Forschung einen unerwünschten Umweg dar. Vorhandene
firmeninterne, Intranet-fähige Informationssysteme sollten vielmehr in der
Lage sein, die chemischen Daten direkt und interaktiv in einer VRML-Szene
zu repräsentieren.
Der vorliegende VRML-Strukturgenerator stellt nach unserer Erkenntnis die
modernste und umfangreichste Lösung zur interaktiven Generierung von VRML-Szenen
dar. Ein Vorteil des Online-Dienstes gegenüber anderen VRML-Strukturgeneratoren
liegt dabei vor allem in der Vielzahl der möglichen chemischen Eingabeformate
begründet. Diese Fähigkeit erlaubt die direkte Eingabe fast aller gängigen
und auch exotischeren Dateiformate und macht somit eine umständliche und zeitaufwendige
Umformung der chemischen Daten überflüssig. Der pdb2vrml-Dienst [
9]
der Arbeitsgruppe Brickmann unterstützt lediglich das PDB-Dateiformat, während
das
CyberMol-System
[
107] auf ein eigenes Datenformat und
das XYZ-Format limitiert ist. Die Eingabe der Daten wird in beiden Online-Diensten
darüber hinaus durch die Form der Eingabe kompliziert. Die Daten können im
Gegensatz zum VRML-Strukturgenerator nicht mittels einer Upload-Funktion direkt
an den Service übergeben werden, sondern müssen durch umständliche
Copy
& Paste-Aktionen in die Webseite integriert werden. Eine Dateneingabe
mittels eines Struktureditors ist ebenfalls ausgeschlossen.
Beide alternativen Ansätze sind nur in der Lage statische VRML-Szenen zu generieren.
Der pdb2vrml-Dienst ist zudem nur auf die Generierung von VRML1.0-Szenen ausgelegt
und schließt somit die Darstellung dynamischer Prozesse aus. Eine Betrachtung
der aktuellen VRML-Viewer zeigt darüber hinaus, dass das veraltete VRML1.0-Format
in der Regel nicht mehr unterstützt wird und eine Betrachtung der Szenen somit
ausgeschlossen ist. Das auf
MOLDA2.0-basierende
[
108]
CyberMol-System
ist zwar in der Lage VRML2.0-Szenen zu generieren, es hat sich allerdings
bei einer aktuellen Überprüfung des Online-Dienstes gezeigt, dass die Server-seitigen
Berechnungsskripte nicht mehr zugänglich sind und der Benutzer daher nur Fehlermeldungen
erhält.
Im Gegensatz zu chemischen Austauschformaten enthält eine VRML-Datei keinerlei
chemische Information, sondern nur ein dreidimensionales Abbild dieser Information.
Eine Rückgewinnung der chemischen Information ist daher in der Regel nicht
oder nur sehr schwer möglich. Bei der Entwicklung des VRML-Strukturgenerators
wurde dieser Problematik Rechnung getragen. Neben der zusätzlichen Darstellung
chemischer Information wie atomaren Eigenschaften ermöglicht die eingebettete
Berechnungsfunktion auch weitergehende Untersuchung durch den Benutzer wie
beispielsweise die Berechnung von Atomabständen und -winkeln.
Trotz den erweiterten Möglichkeiten zur Untersuchung der Szene, ist eine vollständige
Extraktion der chemischen Originaldaten aus einer VRML-Szene im Allgemeinen
nicht möglich. Diese Problematik wurde im Arbeitskreis Gasteiger intensiv
im Rahmen einer Diplomarbeit untersucht [
109].
Um dennoch einen ununterbrochenen Datentransfer zu gewährleisten, bettet der
Online-Dienst alle wichtigen chemischen Daten in Form einer kodierten String-Repräsentation
in der VRML-Szene ein (
"Serialized
Objects"). Diese nicht sichtbare Information kann anschließend wieder
durch das
CACTVS-System
aus einer VRML-Szene extrahiert und in chemische Daten rückkonvertiert werden.
Die Verwendbarkeit des Online-Dienstes wird am ehesten bei der Betrachtung
der statistischen Zahlen deutlich. Der Online-Dienst steht sowohl auf dem
Server der Arbeitsgruppe Gasteiger als auch auf einem Server des US Krebsforschungsinstituts
zur Verfügung und wurde seit seiner Einführung im Oktober 1998 bereits über
49.400 mal genutzt. Weltweit verweisen über 260 Online-Verweise auf den Service.
Der Online-Dienst wird als Standardwerkzeug im Projekt
Molecule
of the Month der Universität Bristol [
110]
eingesetzt. Die allgemeine und offene Verwendbarkeit des Service wird vor
allem bei der Betrachtung des Datenbankinterfacees des amerikanischen Krebsforschungsinstituts
deutlich [
93]. Suchresultate können direkt
an den VRML-Strukturgenerator weitergereicht werden ohne dass eine Zwischenspeicherung
und Konvertierung der chemischen Daten nötig ist.
4.1.3 VRML-Animationsgenerator
Während die Zielsetzung des VRML-Strukturgenerators in der Realisierung eines
Höchstmaßes an Benutzerinteraktion lag, wurden mit Hilfe des VRML-Animationsgenerators
die neuen Funkionen des VRML97-Standards zur Darstellung dynamischer Prozesse
in der Chemie untersucht. Das Ziel war die Entwicklung eines Online-Dienstes,
der übliche Austauschformate zur Speicherung von Trajektorieninformation einlesen
und in Form von animierten VRML-Szenen darstellen konnte.
4.1.3.2 Funktionsbeschreibung
Mit Hilfe einer Upload-Funktion kann der Benutzer ein multiples XYZ-Austauschformat
an den Service übergeben. Dieses Dateiformat wird von zahlreichen Molecular
Modelling und Moleküldynamik-Programmen als Ausgabeformat angeboten. Zu Demonstrationszwecken
kann der Benutzer anstelle eigener Austauschformate eine vordefinierte Beispieldatei
als Struktureingabe wählen (Abbildung
4-6).
Abb. 4-6: VRML-Animationsdienst: Eingabeformular.
(Hier
geht es zum Online-Service.)
Neben der bereits aus dem VRML-Strukturgeneratordienst bekannten Wahl der
Molekülrepräsentation (
Ball
& Stick, Capped, Spacefill), der Bindungsparameter und einiger
graphischer Parameter erlaubt der VRML-Animationsservice auch einige animationsspezifische
Einstellungen. Zum einen kann der Benutzer die Dauer des Animationszyklus
festlegen. Zum anderen hat der Benutzer die Möglichkeit eine
Stop
& Play-Funktion in die VRML-Szene zu integrieren (Abbildung
4-7,
letztes Bild). Mit Hilfe dieses Werkzeugs kann der Benutzer jederzeit die
Animation stoppen und fortsetzen. Zudem kann mit Hilfe einer
Step-Funktion
die Animation schrittweise betrachtet werden.
Abb. 4-7: VRML-Animationssequenz: Initialisierung einer kationischen Polymerisation
von 2-Methyl-buten-1 mit Ethanol und Bortrifluorid;
unten
rechts: Eingebettete
Stop/Play/Step-Option.
(Farbabbildung: Anhang A, Abbildung
A-3).
Zum Öffnen der 3D-Szene bitte auf das Bild klicken!
Abbildung
4-7 zeigt Screenshots der Beispielanimation.
Die Animation zeigt die Initiierung einer kationischen Polymerisationsreaktion.
Neben der Darstellung der in der Austauschdatei vorhandenen Atomkoordinaten
und Bindungen ergänzt und repräsentiert der Online-Dienst automatisch Atomabstände,
die einen bindungsähnlichen Charakter aufweisen (gelbe Linien in Abbildung
4-7). Mit Hilfe dieser Darstellungsform
können beispielsweise stabilisierende bzw. aktivierende Wechselwirkungen zwischen
funktionellen Gruppen repräsentiert werden.
Wie auch im VRML-Strukturgeneratordienst hat der Benutzer zum einen die Möglichkeit
sich die Animation direkt im Browserfenster zu betrachten. Darüber hinaus
kann die Ausgabe auch so definiert werden, dass die generierte VRML-Szene
lokal auf dem Client gespeichert werden kann. Dem Benutzer bietet sich somit
die Gelegenheit eigene Moleküldynamik-Ergebnisse in Form von VRML-Szenen auf
einer Internetseite anzubieten.
Der VRML-Animationsdienst basiert wie alle in diesem Kapitel vorgestellte
Online-Dienste im Grundsatz auf dem gleichen in Abbildung
4-5
beschriebenen Prinzip (HTML-Formular/CGI-Skript/
CACTVS-Kernsystem).
Je nach Datentyp und Aufgabenstellung variiert dabei die Anzahl und die Art
der verwendeten
CACTVS-Module
in der Kernbibliothek. Im Fall des VRML-Animationsdienstes wird jedoch das
gleiche VRML-Modul wie im VRML-Strukturgeneratordienst verwendet. Aus diesem
Grund werden im Folgenden nur die wichtigsten Unterschiede zwischen den Implementierungen
der beiden Anwendungen skizziert.
Ein entscheidender Unterschied kann bereits beim Einlesen der Strukturdaten
beobachtet werden. Das CACTVS-System
bzw. die Leseroutine für das XYZ-Dateiformat erkennt beim Lesen der Daten
das Vorliegen multipler, dreidimensionaler Koordinatensätze. Daher wird neben
der Speicherung der 3D-Koordinaten auch für jedes Atom der molekularen Szene
eine Eigenschaftsbeschreibung namens A_TRAJECTORY
definiert. Dieser Datencontainer enthält nach dem Lesevorgang alle in der
Austauschdatei definierten 3D-Koordinaten des entsprechenden Atoms. Diese
Information wird vom VRML-Modul genutzt, um die Koordinaten in einen speziellen
VRML-Knoten den sogenannten PositionInterpolator
einzusetzen. Die VRML-Szene wird schließlich noch mit einem Zeitgeberknoten
versehen.
Bei der Client-seitigen Animation wird die Szene durch den zentralen Zeitgeberknoten
und durch Transformation der Objektkoordinaten entlang der Interpolationspunkte
gesteuert. Die optionale Stop
& Play-Funktion kann dabei direkt auf den Zeitgeberknoten Einfluss
nehmen und erlaubt somit eine Steuerung der Animation druch den Benutzer.
Animationen stellen für das Verständnis komplexer Vorgänge insbesondere in
der wissenschaftlichen Ausbildung ein wichtiges Werkzeug dar. So kann beispielsweise
die zeitliche, geometrische und stereochemische Komplexität einer chemischen
Reaktion durch Einsatz animierter Darstellungen besser verstanden werden.
Bei der Betrachtung aktueller, Internet-fähiger Visualisierungsapplikationen
fällt auf, dass bis auf wenige Ausnahmen wie das Chime-Plugin
keine Anwendung in der Lage ist, dreidimensionale Animationen zu visualisieren.
MPEG-basierte Videofilme oder animierte GIF-Sequenzen werden bei dieser Betrachtung
nicht berücksichtigt, da sie keine Benutzerinteraktion zulassen und es sich
bei diesen Medien nicht um dreidimensionale Darstellungsformen handelt.
Bei einer näheren Betrachtung des Chime-Plugins
wird schnell der rudimentäre Charakter der Animationsfähigkeit sowie die vergleichbar
schlechte Qualität der Animation deutlich. Die Ursache für die eingeschränkte
Animationsfähigkeit liegt dabei in der Visualisierungstechnik von Chime
begründet. Chime
wurde in erster Linie zur Visualisierung von Strukturen entwickelt. Um Animationen
zu realisieren, schaltet die Applikation zwischen den einzelnen molekularen
Szenen, die sich aus dem multiplen Koordinatensätzen ergeben, hin und her.
Je nach Anzahl der Koordinatensätze ergibt sich damit eine mehr oder weniger
unruhige Bildfolge. Beim Vorliegen von nur zwei oder drei Koordinatensätzen
ist eine brauchbare Animation nicht möglich. Darüber hinaus stehen dem Benutzer
nur sehr limitierte Optionen zur Beeinflussung der Animation zur Verfügung.
Als graphisches Datenformat bietet VRML97 sehr komfortable Optionen zur Realisierung
hochaufgelöster Animationen. Die Qualität der vom Online-Dienst generierten
Szenen hängt dabei nicht von der ursprünglichen Anzahl der Koordinatensätze
ab. Die Koordinaten dienen lediglich als Eckpunkte für die eingebetteten Interpolatoren.
Während der Animation werden alle Objekte (Atome, Bindungen) dynamisch zwischen
diesen Eckdaten verschoben, rotiert, skaliert und umgeformt. Durch den Interpolationsmechanismus
lassen sich somit sehr hochaufgelöste Animationen erstellen, selbst wenn die
Originaldaten nur über zwei Koordinatensätze verfügen. Ein weiterer Vorteil
dieser Technik ist, dass nur ein konstanter Satz an Objekten anstelle von
zahlreichen einzelschrittbasierten Objekten verwaltet werden muss.
Der VRML-Animationsgenerator ist nach unserer Erkenntnis der einzige interaktive
Online-Dienst seiner Art. Er wurde in den letzten zwei Jahren über 5.000 mal
verwendet und ist wie der VRML-Strukturgenerator in vielen chemischen Hyperlinksammlungen
vertreten.
Die Quantenchemie ist eines der Felder in der Chemie, welches aufgrund des
theoretischen und mathematischen Charakters sowohl von vielen Studenten als
auch von Chemikern, die auf diesem Gebiet nicht spezialisiert sind, als schwer
zugänglich angesehen wird. Zu den Eigenschaften, die über quantenchemische
Rechnungen vorhersagbar sind, gehören die Infrarot- und Raman-Spektren. Zu
jedem Absorptionspeak gehört dabei eine Molekülschwingung, die sogenannte
Normalschwingung, die sich aus der Kräftematrix der Auslenkung der Atome aus
der Ruheposition ableiten lässt. Im Widerspruch zu den einfachen Modellen,
die vielfach zur Spektreninterpretation herangezogen werden (im Sinne von
CO
Schwingung bei x cm-1)
handelt es sich dabei um Schwingungen des gesamten Gerüstes, die nicht immer
vorwiegend einer einzelnen Bindung oder funktionellen Gruppe zugeordnet werden
können. Die praktische Vorstellungskraft versagt rasch, wenn es um das Verständnis
dieser Schwingungen aus Zahlentabellen geht. Werden diese Schwingungen jedoch
in Form animierter 3D-Szenen angezeigt, wird die Logik hinter ihnen schnell
verständlich.
Das Ziel war daher die Entwicklung einer Internet-Anwendung, die für beliebige
Moleküle Infrarot- und Ramanspektren vorhersagen kann und eine animierte Darstellung
der zu den Intensitätspeaks korrespondierenden Normalschwingungen erlaubt.
4.1.4.2 Funktionsbeschreibung
Das Eingabeformular des Online-Dienstes setzt sich zum einen aus einem Struktureingabeteil
und zum anderen aus einem Teil zur Eingabe von Visualisierungsparametern zusammen
(Abbildung
4-8). Mit Hilfe eines Java-basierten
Struktureditors bietet sich dem Benutzer die Möglichkeit, beliebige Strukturen
zu zeichnen und zur Berechnung von Spektren und Normalschwingungen an den
Service zu übergeben. Alternativ dazu kann der Benutzer SMILES-Strings als
Struktureingabeform benutzen. Da die quantenchemische Berechnung der Spektren
(
VAMP)
trotz Verwendung von durch
CORINA
generierter, voroptimierter 3D-Koordinaten sowie Einsatz der einfachen AM1-Methode
sehr rechenintensiv sein kann, wird die Anzahl der Atome bei der Struktureingabe
auf dreißig begrenzt. Darüber hinaus darf sich die Verbindung nur aus Hauptgruppenelementen
zusammensetzen. Diese Limitierung stellt sicher, dass die notwendigen Berechnungen
in der vom Benutzer erwarteten und für das Internet typischen Antwortzeiten
realisiert werden können.
Abb. 4-8:
ComSpec3D: Eingabeformular.
(Hier geht es
zum Online-Service.)
Die neben der Struktureingabe implementierten Optionen ermöglichen dem Benutzer
eine komfortable Beeinflussung der animierten Normalschwingungen nach chemischen
als auch graphischen Gesichtspunkten.
Da Spektrenpeaks mit sehr kleinen Intensitäten für das Verständnis von quantenchemischen
Vorgängen eine geringe Bedeutung haben, kann die Anzahl der dargestellten
Normalschwingungen mit Hilfe eines Intensitätsgrenzwertes eingeschränkt werden.
Dieser Grenzwert kann vom Benutzer frei gewählt oder auch deaktiviert werden.
Des Weiteren kann der Benutzer die Darstellung der graphischen Szene beeinflussen,
in dem er die Zeitdauer eines Animationszyklus, die Anzahl der zugrunde liegenden
Einzelschritte als auch das relative Maß der Schwingungsauslenkung (Skalierung
der berechneten Werte) innerhalb eines sinnvollen Wertebereichs bestimmen
kann.
Die Schwingungsfrequenz einer Normalschwingung hängt unmittelbar von der Kraftkonstante
ab. Hohe Kraftkonstanten führen zu hohen Wellenzahlen bzw. zu niedrigen Schwingungsfrequenzen,
kleine Kraftkonstanten zu hohen Schwingungsfrequenzen. Dieser Umstand wird
im Spektrum durch die verschiedenen Wellenzahlen ausgedrückt. ComSpec3D
bietet die Möglichkeit diese Abhängigkeit auch in der Animation widerzuspiegeln.
Die Animationsgeschwindigkeit der Normalschwingung wird dabei in Abhängigkeit
von der Kraftkonstante dargestellt. Die Repräsentation von Normalschwingungen
bei großen Wellenzahlen kann dabei zu sehr schnellen, nur noch schlecht zu
verfolgenden Animationssequenzen führen. Aus diesem Grund kann als Alternative
auch eine Standardgeschwindigkeit für alle Animationen gewählt werden.
Abb. 4-9:
ComSpec3D: HTML-Seite mit quantenchemisch berechneten Spektren und selektierbaren Wellenzahlen (Link zu den korrespondierenden Normalschwingungsanimationen).
(Farbabbildung: Anhang A, Abbildung
A-4).
Nachdem der Benutzer alle erforderlichen Eingaben vorgenommen hat, werden
die 3D-Koordinaten mit
CORINA
berechnet und anschließend zur quantenchemischen Berechnung (AM1) an
VAMP
übergeben Die resultierenden Spektren sowie die Wellenzahlen der Normalschwingungen
werden schließlich in einer HTML-Seite dargestellt (Abbildung
4-9).
Die dynamisch generierte HTML-Seite besteht dabei aus drei Abschnitten. Im
obersten Abschnitt werden zunächst die für die eingesetzte Struktur berechneten
Raman- und Infrarotspektren dargestellt. Alle wichtigen Daten bezüglich der
eingesetzten Strukturinformation als auch der quantenchemischen Berechnung
können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Die Tabelle enthält unter
anderem die Summen- und Strukturformel der berechneten Verbindung, Angaben
über das eingesetzte quantenchemische Programm als auch die verwendete Methode.
Im letzten Abschnitt befindet sich schließlich die Tabelle mit der Information
über die Normalschwingungen. Der Benutzer kann dabei der Tabelle Daten wie
Namen, Wellenzahl und Intensitäten der einzelnen Normalschwingungen entnehmen.
Durch Anklicken einer Wellenzahl kann der Benutzer ein zweites Browserfenster
öffnen, in dem die entsprechende Normalschwingung als animierte 3D-Szene dargestellt
wird (Abbildung
4-10).
Abb. 4-10:
ComSpec3D:
VRML-Animationssequenz: -OH Deformationsschwingung von Phenol bei 1383 cm
-1
(Farbabbildung: Anhang A, Abbildung
A-5).
Zum Öffnen der 3D-Szene bitte auf das Bild klicken!
Aufgrund der zusätzlich benötigten quantenchemischen Information ist die Realisierung
des ComSpec3D-Dienstes
im Gegensatz zum VRML-Animationsgenerator wesentlich aufwendiger. Während
der Implementierung des Online-Services wurden über fünfzehn zusätzliche CACTVS-Module
entwickelt. Da eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Vorgänge den Rahmen
dieser Arbeit sprengen würde, wird im Folgenden nur auf die vier wesentlichen
Module (E_RAMANSPECTRUM,
E_IRSPECTRUM,
E_VIBRATION_VRML,
E_RAMANIRGIF und A_NORMAL_VIBRATIONS)
und ihr Zusammenwirken eingegangen.
Ein wesentlicher Unterschied zu den beiden bereits erwähnten Anwendungen wird
bei der Betrachtung der schematischen Darstellung einer
ComSpec3D-Sitzung
deutlich (Abbildung
4-11). Die Berechnung
der Raman- und Infrarotspektren und die Darstellung der animierten Normalschwingungen
findet dabei in einem zweistufigen Prozess statt. Im ersten Schritt werden
alle notwendigen quantenchemischen Daten berechnet und in einer aufbereiteten
Form an den Benutzer zurückgeliefert. Mit Hilfe dieser Information kann der
Benutzer in einem zweiten Schritt die zu visualisierenden Normalschwingungen
auswählen.
Abb. 4-11: Schematische Darstellung einer ComSpec3D-Sitzung.
Wie bei allen in diesem Kapitel vorgestellten Anwendungen werden auch in der
ComSpec3D-Applikation
zunächst vom Benutzer definierte Strukturinformation an das System übergeben.
Nach der Übergabe der Strukturdaten fordert das CGI-Skript die Spektreninformation,
genauer gesagt die graphische Spektrenrepräsentation (E_RAMANIRGIF),
von der Kernbibliothek an. Alle dazu notwendigen Prozeduren laufen dabei wiederum
vollkommen automatisch und für den Benutzer unsichtbar im Hintergrund ab.
Die wichtigsten Mechanismen dieser Prozedur werden im Folgenden erläutert.
Bei der Abfrage des Spektrenbildes sucht das Kernsystem zunächst nach der
dafür notwendigen Eigenschaftsbeschreibung
E_RAMANIRGIF.
Da die entsprechenden Bilddaten zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegen,
muss das Spektrum durch die im Modul implementierten Funktionen zuerst gezeichnet
werden. Dies ist aber nicht ohne das Vorhandensein der eigentlichen Spektreninformation
möglich. Das Modul verweist das Kernsystem deshalb auf die Spektrendatenmodule
E_RAMANSPECTRUM
und
E_IRSPECTRUM.
Auch diese Module enthalten zu diesem Zeitpunkt noch keine Information, sind
jedoch in der Lage diese Daten zu generieren bzw. generieren zu lassen. Um
die benötigten Spektrendaten zu berechnen, müssen vorher 3D-Koordinaten vorliegen.
Die Generierung der dreidimensionalen Struktur erfolgt dabei analog zu den
bereits beim VRML-Generator beschriebenen Mechanismen mit dem Strukturgenerator
CORINA
(vgl. Abschnitt
4.1.2.3).
Nachdem die 3D-Information an das Spektrenmodul weitergeleitet wurde, generiert
das Modul eine Eingabedatei für das externe, semi-empirische MO-Programm
VAMP
(vgl. Abschnitt
2.3.3) und startet das
Programm zur Berechnung der notwendigen Daten (
VAMPBefehlszeile:
AM1 FORCE SPECTRUM XYZ GNORM=0.04).
Nach Beendigung der
VAMP-Berechnung
werden die Daten automatisch aus der Ausgabedatei und der Spektrendatei extrahiert
und in die entsprechenden Datencontainer eingefügt. Bei diesem Vorgang werden
sowohl die Module
E_IRSPECTRUM
als auch die Datencontainer
E_RAMANSPECTRUM,
A_NORMAL_VIBRATIONS
und eine ganze Reihe weiterer Module mit den berechneten Daten beladen. Nach
dieser automatischen Prozedur ist schließlich auch das vom CGI-Skript aufgerufene
Modul
E_RAMANIRGIF
in der Lage, die Spektren zu zeichnen.
Neben der Anforderung der Spektreninformation veranlasst das CGI-Skript darüber
hinaus die temporäre Speicherung aller berechneten und eingelesenen Daten.
Diese Zwischenspeicherung verhindert, dass für die nachfolgende Generierung
der animierten Normalschwingungen eine erneute Berechnung der quantenchemischen
Information notwendig wird.
Mit der Repräsentation der wichtigsten Daten in Form einer dynamischen HTML-Seite
endet schließlich die erste Stufe der ComSpec3D-Sitzung.
Durch Wahl einer beliebigen, in der HTML-Seite dargestellten Wellenzahl kann
der Benutzer in der zweiten Stufe die Generierung und Visualisierung der korrespondierenden
Normalschwingungsanimation starten. Zu diesem Zweck wurden die einzelnen Wellenzahlen
mit Hyperlinks versehen, die das zweite CGI-Skript aktivieren. Dabei wird
dem CGI-Skript jede notwendige Information wie der Pfad zu den temporären
Daten, der Index der gewünschten Normalschwingung als auch die vom Benutzer
definierten Visualisierungsparameter übermittelt. Das CGI-Skript leitet diese
Information an das Kernsystem weiter und ruft anschließend das VRML-Modul
E_VIBRATION_VRML
zur Generierung der entsprechenden Normalschwingungsanimationen auf. Die generierte
VRML-Szene wird abschließend vom CGI-Skript an den Client übermittelt und
dort in einem zweiten Browserfenster visualisiert.
Die Spektroskopie spielt in der chemischen Ausbildung eine wichtige und grundlegende
Rolle. In den vergangenen Jahren wurden daher eine Vielzahl an Plugins und
Applets entwickelt, die alle möglichen Spektrenformen plattformunabhängig
darstellen können. Neben dem eigentlichen Spektrum bekommen aber vor allem
die zu den Intensitätspeaks korrespondierenden Normalschwingungen eine bedeutende
Rolle beim Verständnis der theoretischen Grundlagen. Eine ansprechende Repräsentation
der Normalschwingungen stellt jedoch hohe Ansprüche hinsichtlich der Generierung
und Visualisierung der hierfür notwendigen Daten. Die Zahl der Web-Anwendungen
ist aus diesem Grund sehr limitiert und die Qualität der einzelnen Applikationen
variiert dabei stark.
In einigen Online-basierten Spektroskopiekursen werden die Normalschwingungen
in Form animierter GIF-Sequenzen [
111]
oder als MPEG-kodierte Filme [
112] dargestellt.
Diese statischen Lösungen stellen durchaus einen Vorteil gegenüber üblichen
papierbasierten Darstellungsformen dar, erlauben jedoch keine Interaktion
durch den Betrachter. Eine dreidimensionale, animierte Darstellung von Normalschwingungen
in Abhängigkeit von Intensitätspeaks in Infrarotspektren konnte jedoch mit
Hilfe des
Chime-Plugins
[
8] als auch durch Verwendung von VRML
[
85,
86]
demonstriert werden. Diese Ansätze dienen jedoch lediglich zu Demonstrationszwecken
und sind daher auf einen speziellen Einzelfall limitiert. Durch Auswahl von
Intensitätspeaks in einem als GIF dargestellten Spektrum können dabei die
korrespondierenden Normalschwingungen angezeigt werden. Die für die Animation
notwendigen quantenchemischen und strukturellen Daten werden zu diesem Zweck
vorberechnet und als statische Information auf dem Server abgelegt.
Eine Weiterentwicklung der
Chime-basierten
Darstellung animierter Normalschwingungen wurde von Lancashire
et
al. vorgestellt [
113]. In diesem
Ansatz wird das
Chime-Plugin
sowohl zur Visualisierung der Spektren als auch zur Animation der Normalschwingungen
eingesetzt. Beide Repräsentationen können dabei auch miteinander verknüpft
werden. Darüber hinaus wurden Programme zur Extraktion der notwendigen Daten
aus
GAUSSIAN-berechneten
Ausgabedateien entwickelt und zur Verfügung gestellt. Trotz dieser Weiterentwicklung
ist die Methode nicht universell einsetzbar. Der Anwender muss zur Realisierung
des Ansatzes sowohl über Strukturdaten, quantenchemische Programme zur Berechnung
der entsprechenden Normalschwingungen als auch Dateiformate mit den entsprechenden
Spektren verfügen. Die Methode ist daher auf eine sehr begrenzte Benutzergruppe,
welche die oben genannten Programme und Dateien besitzt, limitiert und darüber
hinaus mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden.
Eine interaktive, Web-fähige Lösung stellt die
WebMO-Anwendung
dar [
114].
WebMO
ist eine Internetanwendung zur Bedienung gängiger quantenchemischer Programme
sowie zur Analyse und Visualisierung der berechneten Ergebnisse.
WebMO
erlaubt unter anderem die Bedienung einer komfortablen Benutzeroberfläche
und damit der darunter liegenden Programme zur Berechnung der Normalschwingungen
und Spektren. Die berechneten Spektren und Normalschwingungen können anschließend
mit Hilfe von Java-basierten Applikationen betrachtet werden. Die Normalschwingungen
werden dabei jedoch nicht in animierter Form sondern lediglich durch ausgerichtete
Pfeile an den entsprechenden Atomen repräsentiert. Da WebMO
nicht als eigenständiger Online-Dienst entwickelt wurde, existiert nur eine
stark eingeschränkte Demoversion, welche die Fähigkeiten der Benutzeroberfläche
beschreibt.
Ein für die interaktive Darstellung von Normalschwingungen entwickelter Online-Dienst
ist
CyberMol
[
107]. Die qunatenchemische Berechnung
beliebiger Moleküle ist mit
CyberMol
ebenfalls nicht möglich. Vielmehr muss der Benutzer eigene
GAUSSIAN-Ausgaben
in ein entsprechendes Textfeld im Online-Dienst kopieren. Die resultierende
VRML-basierte Darstellung der Normalschwingungen erfolgt wie bei
WebMO
durch Pfeilbeschreibungen und nicht durch Animation der Szene. Darüber hinaus
scheint der Service wie bereits beschrieben nicht mehr aktiv zu sein.
Die in dieser Arbeit entwickelte ComSpec3D-Anwendung
stellt zur Zeit das komfortabelste und am weitesten entwickelte, interaktive
Werkzeug zur Berechnung und Darstellung von Infrarot- und Raman-Spektren sowie
den korrespondierenden Normalschwingungen dar. Der Online-Dienst setzt weder
zusätzliche lokale Programmpakete noch das Vorliegen chemischer Daten voraus.
Die Anwendung kann daher von jedermann benutzt werden und eignet sich somit
für den unkomplizierten Einsatz in der chemischen Ausbildung an Schulen und
Universitäten.
Neben der bereits erwähnten besseren Qualität von VRML-Animationen im Vergleich
zu Chime-Darstellungen
sind die Möglichkeiten zur Beeinflussung der Animation ebenfalls wesentlich
größer. Dieser Vorteil äußert sich bei ComSpec3D
unter anderem in der Fähigkeit Animationsgeschwindigkeiten in Abhängigkeit
von der jeweiligen Frequenz darzustellen.
ComSpec3D
wird von diversen Schulen und Universitäten im In- und Ausland benutzt. Der
Online-Dienst wurde dabei seit April 1999 über 22.100 mal benutzt. Der Web-Service
wurde darüber hinaus von der Multimedia Educational Resource for Learning
and Online Teaching (MERLOT) begutachtet und hinsichtlich seines Potentials
zum verbesserten Lernen mit Höchstnoten ausgezeichnet.
Die Repräsentation molekularer Oberflächen hat in der Chemie und hier besonders
in der Pharmaforschung große Bedeutung erreicht. Viele aktuelle Fragestellungen
lassen sich heute ohne die Kenntnis der molekularen "Gestalt" sowie den auf
ihr abgebildeten molekularen Eigenschaften nicht mehr lösen. Dieser Umstand
hat in den letzten Jahren zu einer rasanten Entwicklung von leistungsfähigen
Programmen zur Generierung und Visualisierung von Moleküloberflächen geführt.
Der Nutzen der Oberflächenvisualisierung ist aber längst nicht mehr nur auf
die chemische Forschung limitiert. Auch in der chemischen Ausbildung wurde
das Potential dieser Darstellungsform erkannt [
115].
Ein großes Problem bei der Nutzung von Oberflächenrepräsentationen in der
Ausbildung liegt jedoch in dem Umstand, dass aktuelle Standardprogramme zur
Berechnung von Oberflächen nicht für den Einsatz im Unterricht konzipiert
sind. Zum einen sind Schüler als auch Lehrer oft nicht in der Lage, die mächtigen
Molecular Modelling-Programme zu bedienen. Zum anderen stellt aber auch der
im Allgemeinen hohe Preis dieser Softwarepakete ein nicht zu unterschätzendes
Problem dar. Darüber hinaus wurden die kommerziellen Applikationen für wesentlich
komplexere Strukturen und Problemstellungen entworfen und bieten aus diesem
Grund keine vereinfachten Funktionen zum qualitativen Vergleich von einfachen
Molekülen.
Die MolSurf-Anwendung
wurde speziell für die Bedürfnisse von Schulen und Universitäten in enger
Absprache mit Dozenten und Lehrern entwickelt. Das Ziel war dabei die Realisierung
eines einfach zu bedienenden Programms zur Darstellung molekularer Oberflächen,
welches die speziellen, oben beschriebenen Forderungen erfüllt.
4.1.5.2 Funktionsbeschreibung
Für die chemische Ausbildung werden vor allem kleine und einfache Verbindungen
benötigt. Die dafür notwendigen Strukturdaten stehen jedoch im Allgemeinen
den Lehrern und Dozenten nicht zur Verfügung und können in der Regel auch
nicht aus Online-Datenbanken bezogen werden. Aus diesem Grund wurde die
MolSurf-Anwendung
mit einem Struktureditor ausgestattet (Abbildung
4-12).
Die benötigten Verbindungen können auf diese Weise leicht erstellt und zur
weiteren Berechnung an den Service übergeben werden. Alternativ dazu kann
die Strukturinformation auch als SMILES-String eingegeben werden. Die Struktureingabe
ist dabei in beiden Fällen aus den bereits in Abschnitt
4.1.4.2
beschriebenen Gründen auf Verbindungen mit maximal dreißig Atome (inkl. Wasserstoffatome)
begrenzt. Für den alltäglichen Einsatz im Chemieunterricht ist diese Limitierung
jedoch vollkommen ausreichend. Eine dritte Option erlaubt die Eingabe von
Datenformaten, die bereits berechnete Oberflächeninformation enthalten. Zur
Zeit wird dabei lsowohl das
VAMP-
als auch das
COSMO-Format
unterstützt (
42,
249).
Abb. 4-12:
MolSurf:
Eingabeformular.
(Hier geht es zum Online-Service.)
Nach Eingabe der Strukturdaten kann der Dozent bzw. der Schüler die Darstellungsform
der Moleküloberfläche wählen. Der Service unterstützt dabei die wichtigsten
Repräsentationsarten wie
Solid,
Chicken
Wire bzw.
Mesh
und
Dot
Cloud (Abbildung
4-13 a-c). Darüber
hinaus können auch alle Darstellungsformen in der VRML-Szene integriert und
dort interaktiv geändert werden. Bei der Repräsentation der Strukturdaten
stehen dem Benutzer die gleichen Darstellungsformen wie beim VRML-Generator
zur Verfügung (vgl. Abschnitt
4.1.2.2).
Auch diese Darstellungen können vom Benutzer interaktiv in der VRML-Szene
ausgetauscht werden (Abbildung
4-13 d-f).
Abb. 4-13:
MolSurf:
VRML-Szene mit Strukturen und SES-Oberflächen (semitransparent) von TNT: a)
- c):
Rainbow-Farbskalierung
einer a)
Solid-Repräsentation,
b)
Dot
Cloud-Repräsentation, c)
Chicken
Wire-Repräsentation; d)-f): Blau-Weiß-Rot-Farbskalierung einer
Solid-Oberflächen-Repräsentation
mit unterschiedlichen Strukturmodellen: d)
Capped,
Ball
& Stick und f)
Wireframe
(Farbabbildung: Anhang A, Abbildung
A-6).
3D-Szene 1
und 2!
Der Online-Dienst unterstützt zur Zeit nur die Abbildung des molekularen elektrostatischen
Potentials auf der Moleküloberfläche. Dies reicht jedoch für die Lösung didaktischer
Problemstellungen meist aus.
Es stehen dem Benutzer drei gebräuchliche Farbpaletten zum Einfärben der molekularen
Oberfläche zur Verfügung. Neben der Regenbogen-Farbpalette (21 Farben) und
der gröberen ASA-Farbpalette (9 Farben) steht auch noch eine Rot-Weiß-Blau-Farbskala
zur Verfügung. Für den Fall, dass keine molekulare Eigenschaft auf der Oberfläche
abgebildet werden soll, kann die Farbcodierung auch deaktiviert werden.
Eine wichtige Funktion für den Einsatz im Chemieunterricht stellt die Skalierbarkeit
des Farbwertebereichs dar. Bei dieser durch den Benutzer definierten Skalierung
können für das elektrostatische Potential frei definierbare Maxima und Minima
angegeben werden, die als Grenzwerte für den Farbverlauf dienen. Den berechneten,
molekularen Eigenschaftswerten wird anschließend ein durch diese Farbskala
definierter Farbwert zugeordnet. Die vom Benutzer definierte Farbskala kann
anschließend für eine Reihe von Molekülen eingesetzt werden, womit ein Vergleich
der unterschiedlichen, molekularen Eigenschaften ermöglicht wird. So können
mit Hilfe dieser Skalierung molekulare Effekte wie beispielsweise der Einfluss
einer Säuregruppe in unterschiedlichen Carbonsäuren vermittelt werden. Darüber
hinaus ermöglicht die Skalierung auch die Angabe von Grenzwerten. Dabei werden
Eigenschaftswerte mit größeren bzw. kleineren Werten als der definierte Maximal-
bzw. Minimalwert in der gleichen Farbe wie der Maximal- bzw. Minimalwert dargestellt.
Neben der Skalierung kann auch die Originalskalierung (berechnete Maxima und
Minima definieren die Grenzen der Farbskala) oder eine relative Skalierung
(größter, absoluter Wert der berechneten Maxima/Minima definiert die Grenzen
der Farbskala) gewählt werden.
Nach Eingabe der Strukturinformation werden zunächst die 3D-Koordinaten der
Verbindung mit Hilfe von
CORINA
berechnet. Die dreidimensionale Struktur wird anschließend zur quantenchemischen
Berechnung an
VAMP
übergeben (AM1, SCF), wobei die Gitterpunkte der
Solvent-Excluded-Surface-Oberfläche
sowie die Oberflächenwerte des elektrostatischen Potentials berechnet werden.
Aus den berechneten Daten wird schließlich eine VRML-basierte, dreidimensionale
Szene erstellt und diese an den Benutzer zurückgeliefert (Abbildung
4-13,
4-14).
Abb. 4-14:
MolSurf:
VRML-Oberfläche (Solid-Repräsentation) von Trinitrotoluol mit integriertem
HUD-Menü (Farbabbildung: Anhang A, Abbildung
A-7).
Zum Öffnen der 3D-Szene bitte auf das Bild klicken!
Mit Hilfe eines semitransparenten
Head-Up-Display-Menüs
(HUD-Menü), das in der VRML-Szene integriert ist, kann der Benutzer die Szene
interaktiv manipulieren (Abbildung
4-14).
So kann mit Hilfe des Menüs die dargestellte Oberflächenrepräsentation verändert
oder die Strukturdarstellung ein- oder ausgeblendet werden. Darüber hinaus
kann mit Hilfe einer Slider-Funktion die Transparenz der Oberfläche beliebig
variiert werden. Die Legende für die Farbgebung ist ebenfalls im HUD-Menü
integriert.
Die generierten SES-Oberflächen können über eine zusätzliche Speicheroption
auch lokal auf dem Client abgespeichert werden.
Für die Generierung und Speicherung der molekularen Oberflächendaten und Eigenschaften
wurden sechs neue Eigenschaftsbeschreibungen bzw. Module sowie eine Leseroutine
für das quantenchemische Programm VAMP
entwickelt.
Die Generierung der 3D-Koordinaten und der VRML-Repräsentation für die molekulare
Struktur erfolgt dabei nach den bereits vorgestellten Mechanismen (vgl. Abschnitt
4.1.2.3) und wird daher an dieser Stelle
nicht mehr näher erläutert. Das zentrale Modul bei der Generierung der Oberflächendaten
ist die Eigenschaftsbeschreibung
O_POINT.
Dieses Modul enthält, wie der Name schon sagt, die 3D-Koordinaten der Raumpunkte,
welche die molekulare Oberfläche beschreiben. Nachdem die 3D-Koordinaten in
gewohnter Weise (
CORINA)
generiert wurden, erstellt das Oberflächenmodul zunächst eine
VAMP-Eingabedatei.
Durch die in der Eingabedatei enthaltenen Befehle MAP und SES wird
VAMP
veranlasst, eine
Solvent
Excluded Surface (vgl. Abschnitt
3.1.3.4)
für das vorliegende Molekül zu erstellen (
VAMP-Befehlszeile:
AM1 1SCF NOZ XYZ MAP).
Die triangulierten Oberflächendaten als auch die Werte des darauf abgebildeten
molekularen elektrostatischen Potentials werden von
VAMP
in eine Ausgabedatei geschrieben und mit Hilfe der
VAMP-Leseroutine
in das
CACTVS-System
eingelesen. Nach dem Einlesevorgang steht die Oberflächeninformation in den
CACTVS-internen
Oberflächenmodulen zur Verfügung.
Im Gegensatz zu den bereits beschriebenen Anwendungen wird die übergeordnete
VRML-Szene nicht durch ein spezielles CACTVS-Modul
generiert. Lediglich die dreidimensionale Molekülstruktur wird mit Hilfe des
bereits bekannten E_VRML-Moduls erstellt. Die Generierung der VRML-basierten
Oberfläche wird in der MolSurf-Anwendung
direkt vom CGI-Skript unter Verwendung der in den Oberflächen-Modulen enthaltenen
Daten realisiert. Die bereits zuvor generierte VRML-Datei der Molekülstruktur
wird anschließend in die vom CGI-Skript generierte VRML-Szene integriert.
Zur Generierung und Visualisierung molekularer Oberflächen und Eigenschaften
steht dem Chemiker heute eine große Anzahl an kommerziellen und kostenfreien,
plattformabhängigen Programmen zur Verfügung. Während vor einigen Jahren die
Darstellung molekularer Oberflächen nur auf diese Standalone-Applikationen
begrenzt war, existieren heute auch einige Web-Anwendungen zur Repräsentation
entsprechender Datenobjekte. Einige dieser Programme sind Plugins wie beispielsweise
WebLab
Viewer [
79] und
Chime
[
32]. Diese Plugins sind in der
Lage,
Solvent
Accessible Surfaces als auch das molekulare elektrostatische Potential
zu generieren und zu visualisieren. Die Qualität der Darstellung variiert
zwischen den Plugins sehr stark. Aufgrund seiner eingeschränkten Farbdarstellungsfähigkeiten
weist das
Chime-Plugin
die schlechteste Repräsentation auf. Darüber hinaus unterstützt diese Anwendungen
nur sehr rudimentäre Optionen zur Beeinflussung der Oberflächendarstellung.
Ein weiterer Nachteil dieser Plugins begründet sich durch ihren plattformabhängigen
Charakter. In der Regel können die Applikationen nur auf Windows- und eingeschränkt
auf Mac-Plattformen zum Einsatz kommen. Der Einsatz des
Chime-Plugins
in Verbindung mit der neuen Generation an Webbrowsern wird darüber hinaus
zur Zeit nicht unterstützt, was dessen Einsatz stark einschränkt. Obwohl durch
diese Systeme in der Regel keine zusätzlichen Kosten entstehen ist deren Einsatz
im Chemieunterricht daher nur bedingt möglich. Das liegt unter anderem auch
an dem Umstand, dass die Plugins nicht auf die Lösung spezieller didaktischer
Problemstellungen wie die Skalierbarkeit der Farbwerte ausgerichtet sind.
Zum anderen fordern diese Programme das Vorliegen entsprechender 3D-Austauschformate,
die in der Regel den Lehrern bzw. Schülern nicht zur Verfügung stehen.
Die in den Plugins implementierten Funktionen zur Generierung der Oberflächen
und der Moleküleigenschaften erlauben in der Regel nur vereinfachte bzw. genäherte
Ausgaben. Qualitativ höherwertige Ergebnisse erfordern den Einsatz spezieller
Programme. Die Ausgaben dieser Programme können sehr leicht mit dem plattformunabhängigen
VRML-Standard visualisiert werden. Der Einsatz von VRML erlaubt dabei eine
im Gegensatz zu den Plugins höherwertige Darstellungsqualität. Darüber hinaus
bietet sich mit Hilfe dieses Austauschsformat auch die Möglichkeit einer verbesserten
Interaktion.
Eine sehr einfache VRML-basierte Darstellung molekularer Elektronendichten
erlaubt die
Waltz-Applikation
des National Center for Supercomputing Applications [
116].
Das Programm ermöglicht die Eingabe von Elementen über ein HTML-basiertes
Periodensystem und visualisiert die resultierenden Elektronendichten mit Hilfe
statischer oder animierter Bilder. Alternativ zu dieser 2D-Repräsentation
kann der Benutzer auch eine einfarbige VRML-Oberfläche zur Darstellung der
Elektronendichte betrachten. Die stark eingeschränkten und limitierten Eingabemöglichkeiten
sowie die sehr einfachen Darstellungsformen (keine Strukturdaten, keine molekularen
Eigenschaften) sind für die Nutzung dieser Anwendung in der chemischen Ausbildung
unzureichend.
Einen weiterentwickelten Ansatz stellt das Web-Interface des Programms
MSMS
dar [
117].
MSMS
wurde speziell für die schnelle Berechnung von molekularen Oberflächen entwickelt.
Der Service bietet einige Optionen mit denen die Oberflächendarstellung beeinflusst
werden kann. Unter anderem kann der Benutzer dabei den Repräsentationsstil
der Oberfläche wählen (
Solid,
Chicken Wire, Points). Leider unterstützt
MSMS
nur den veralteten VRML1.0-Standard, der von vielen aktuellen VRML-Viewern
nicht mehr dargestellt werden kann. Darüber hinaus ist auch bei
MSMS
die Eingabe bereits vorliegender 3D-Strukturinformation notwendig.
Das zur Zeit am weitesten entwickelte Online-Werkzeug zur Analyse und Visualisierung
molekularer Strukturen und Oberflächen ist
GRASS
[
118].
GRASS
ist ein Web-fähiges Frontend des Programms GRASP und vor allem für den Einsatz
mit Proteinen konzipiert.
GRASS
unterstützt den VRML97-Standard und ist in der Lage, beliebig definierte Oberflächen
sowie eine Vielzahl molekularer Eigenschaften wie beispielsweise das elektrostatische
Potential, die Hydrophobizität oder Atomladungen zu visualisieren. Das Benutzerinterface
ist aus diesem Grunde auch entsprechend komplex und teilweise sehr kompliziert.
Der Online-Dienst setzt als Eingabe Strukturdaten im PDB-Format voraus. Obwohl
diese Dateien aus Online-Datenbanken bezogen werden können, sind einfache
für den Unterricht relevante Moleküle in der Regel nicht in diesen Datenbanken
enthalten. Darüber hinaus bietet auch
GRASS
keine Möglichkeit zur Skalierung der Werte. Aufgrund seiner Ausrichtung auf
große Molekülsysteme und dem damit verbundenen hohen Maß an Komplexität ist
GRASS
für den Einsatz an Schulen oder Universitäten nicht geeignet.
MolSurf
wurde speziell für den Einsatz im Chemieunterricht entwickelt und bietet daher
nur die für den didaktischen Einsatz notwendigen Funktionalitäten. Eine Fehlbedienung
durch einen Schüler oder Lehrer kann aufgrund des einfachen und intuitiven
Aufbaus ausgeschlossen werden. Der Benutzer kann ohne spezielle Vorkenntnisse
einfache Moleküle zeichnen und per Mausklick visualisieren.
MolSurf
berücksichtigt dabei nach unserer Erkenntnis als einzige Applikation eine
Benutzer-definierte Skalierung des Wertebereichs, so dass der für den Unterricht
wichtige qualitative Vergleich verschiedener Verbindungen (
,Welches
Molekül ist welchem Molekül am ähnlichsten?") einfach zu realisieren
ist. Durch den Einsatz des Struktureditors können alle Moleküle selbst erstellt
werden, wodurch das Vorliegen von Strukturaustauschformaten entfällt. Die
interaktiven Werkzeuge innerhalb der Szene (HUD-Display) ermöglichen dem Schüler
darüber hinaus zusätzliche Freiheitsgrade bei der Analyse der Szene. Aus diesen
Gründen stellt
MolSurf
nach unserer Auffassung das für die chemische Ausbildung geeignetste Werkzeug
zur Visualisierung molekularer Oberflächen dar. Obwohl
MolSurf
von allen in diesem Kapitel vorgestellten Applikationen die jüngste Entwicklung
darstellt (Februar 2001), wurde der Online-Dienst bereits ca. 4.100 mal genutzt.
Die Anwendung hat zudem in der internationalen Fachpresse [
119]
Anerkennung gefunden und wurde darüber hinaus auch für die Gestaltung des
neuen
Römpp-Online
[
120] sowie von Abbildungen in einem
anorganischen Lehrbuch [
124] benutzt.
4.1.6 Weitere hybride Ansätze
Im Rahmen des
ChemVis-Projekts
wurden von unseren Projektpartnern (Dr. Klaus Engel, Prof. Thomas Ertl, Abteilung
Visualisierung und interaktive Systeme, Institut für Informatik, Universität
Stuttgart) einige weiterentwickelte, hybride Applikationen vorgestellt. Die
Ansätze befassen sich vor allem mit der Visualisierung sehr großer Volumendatensätze
wie beispielsweise elektronenmikroskopischen Volumendaten. Aufgrund der enormen
Größe der Datensätze müssen diese Techniken sicherstellen, dass einerseits
eine hohe Netzlast verhindert und andererseits die Graphikhardware des Clients
nicht überlastet wird. Dies kann durch die Begrenzung der Anzahl der geometrischen
Primitive (Punkte, Linien, Kugeln, Zylinder, etc.) sichergestellt werden.
Im Rahmen unseres Projektes wurden dabei zwei Verfahren verfolgt [
102].
Die sogenannte progressive Übertragungstechnik basiert auf unterschiedlichen
Auflösungsstufen (
Multi-Resolution-Repräsentationen)
einer Oberfläche, die durch hierarchische Zerlegungsalgorithmen erhalten werden.
Die resultierenden Auflösungsstufen können komprimiert und progressiv an einen
Client übermittelt werden. Auf diese Weise läßt sich sowohl die Visualisierung
beschleunigen als auch die Netzlast verringern. Ein entsprechender, Online-Dienst
wurde von unseren Projektpartner vorgestellt [
125].
Die Anwendung basiert zum einen auf einem Visualisierungsserver, der bereits
über diverse, vorverarbeitete Multi-Resolution-Repräsentationen ausgesuchter
Datensätze verfügt. Zum anderen besteht die Anwendung aus einem Client-seitigen
Java-Applet, das dem Benutzer die Auswahl und Darstellung der Server-seitigen
Datensätze ermöglicht. Nach Selektion eines Datensatzes extrahiert der Server
eine Isofläche in der gewünschten Auflösung aus dem Datensatz und transferiert
die entsprechenden Polygone an den Client. Die Polygone werden auf der Client-Seite
mittels Java3D oder VRML dargestellt. Der Benutzer kann die nun in grober
Auflösung vorliegende Szene weiter verfeinern, in dem er zusätzliche Isoflächendetails
vom Server abruft. Dieser Vorgang läßt sich so lange wiederholen, bis der
Datensatz in der höchsten Auflösung dargestellt wird (Abbildung
4-15).
Im Gegensatz zu den in dieser Arbeit entwickelten Applikationen muss die graphische
Szene nicht vollständig an den Client übermittelt werden, um eine Darstellung
der Szene und Interaktion mit den Daten zu gewährleisten. Vielmehr kann der
Benutzer bereits mit einer grobaufgelösten Darstellungsform interagieren,
während die fehlende Isoflächeninformation automatisch über das Internet nachgeladen
und in die graphische Szene integriert wird. Der Ansatz birgt jedoch auch
Nachteile. Wenn der Benutzer an Detailinformationen wie beispielsweise der
ActiveSite auf einer Proteinoberfläche interessiert ist, muss er warten bis
alle Isoflächendaten an den Client übermittelt worden sind und die komplette
Szene in hochaufgelöster Form vorliegt. Darüber hinaus können bei der hochaufgelösten
Darstellung zu viele Polygone auf dem Client vorliegen, was schließlich wieder
zu einer drastischen Verminderung der Interaktions- und Renderingrate führt.
Abb. 4-15: Progressiver Visualisierungsansatz [
125].
Sucht der Benutzer hingegen bereits zu Anfang der Visualisierungssitzung nach
Details oder soll ein besonders großer Datensatz trotz zu vieler Polygone
detailliert dargestellt werden, so muss ein sogennanter Octree-basierter Isoflächenansatz
eingesetzt werden. Im Gegensatz zum progressiven Ansatz erlaubt der Octreeansatz
die Selektion belieber Bereiche des Datensatzes. Der Benutzer kann daher einen
interessanten Bereich in der grobaufgelösten Szene selektieren, welcher anschließend
durch Übertragung der fehlenden Isoflächeninformation mit hoher Auflösung
rekosntruiert wird. Außerhalb dieser Region und mit steigendem Abstand wird
die Fläche mit zunehmend gröberen Auflösungsstufen rekonstruiert. Auf diese
Weise lassen sich ausreichend hohe Bildwiederholraten als auch interaktive
Navigation erreichen. Ein entsprechender Webservice wurde von unseren Projektpartner
entwickelt [
102]. Mit Hilfe eines Java-Applets
kann der Benutzer zunächst einen Fokuspunkt innerhalb der grobaufgelösten
Szene plazieren. In einem bestimmten Abstand um diesen Fokuspunkt wird die
Szene dann mit einem hohen Detailierungsgrad dargestellt, wobei die fehlende
Isoflächeninformation über das Internet vom Server abgerufen wird. Während
der Darstellung kann der Benutzer den Fokuspunkt beliebig in der Szene manövrieren.
Diese Benutzerinteraktion wird automatisch vom Applet an den Server übermittelt
und führt zur erneuten Übertragung der fehlenden Daten. Auf diese Weise kann
der Benutzer wie mit einer Lupe über das zu untersuchende Objekt fahren. Das
Applet ermöglicht somit hohe Interaktionsraten bei gleichzeitig hoher Auflösung
der graphischen Szene.
4.2 Client-seitige Strategien
Durch die enorm gestiegenen Rechen-, Speicher- und Graphikkapazitäten heutiger
Arbeitsplatzrechner sind in den letzten Jahren Client-seitige Ansätze (Abbildung
4-16) stark in den Vordergrund getreten.
Dabei werden die zu visualisierenden Daten vollständig auf den Client übertragen,
wo dann alle weiteren Berechnungen durch die Module der Visualisierungspipeline
durchgeführt werden. Da während der Interaktion keine weitere Datenübertragung
notwendig ist, können bei entsprechender Leistungsfähigkeit des Clients hohe
Interaktionsraten erzielt werden. Im Prinzip basiert diese Strategie somit
im eigentlichen Sinn nicht auf einen Graphiktransfer sondern auf einen Datentransfer.
Abb. 4-16: Client-seitige Strategien.
Für den im Folgenden beschriebenen Webservice OrbVis
wurde ein solcher Ansatz gewählt, da die Anzahl der Dreiecke während der Orbitalvisualisierung
in der Regel in einer Größenordnung bleibt, bei der jeder Standard-PC die
volle Szene in ihrer maximalen Auflösung bewältigen kann. Außerdem ist ein
Volumendatentransfer zur Erzeugung der Molekülorbitale nicht nötig, da die
Oberflächen mit Hilfe eines übertragenen Applets (Software-Transfer) lokal
berechnet werden können. Obwohl VRML-basierte Systeme generell zu den hybriden
Strategien zählen, gilt dies nicht für die VRML-basierte OrbVis-Applikation.
Die VRML-Szene wird mittels des Applets vollständig auf dem Client generiert.
Wie auch
ComSpec3D
(vgl. Abschnitt
4.1.4) wurde
OrbVis
vor allem zum vereinfachten, didaktischen Zugang zur Quantenchemie entwickelt.
Im Gegensatz zu
ComSpec3D
dient
OrbVis
dabei zur Berechnung und Visualisierung von Molekülorbitalen (MO). Molekülorbitale
beschreiben die Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Elektronen in Molekülen
und sind unter anderem wichtig zum Verständnis von Reaktionen.
Während molekulare Oberflächen und Eigenschaften auf Oberflächen mittlerweile
durch einige Web-Anwendungen dargestellt werden können, ist die interaktive
Visualisierung von Molekülorbitalen durch digitale Dokumente bzw. Medien im
Internet generell noch nicht möglich. OrbVis
sollte diese Lücke schließen. Ein Hauptziel des Online-Dienstes war dabei
ein größtmögliches Maß an Interaktivität zu realisieren. Der Benutzer sollte
in der Lage sein, die Grenzwerte der Elektronendichte und somit die Ausdehnung
der Molekülorbitale interaktiv in der Szene zu verändern.
4.2.2.2 Funktionsbeschreibung
OrbVis
wurde in enger Zusammenarbeit mit Dr. Klaus Engel von der Abteilung "Visualisierung
und Interaktive Systeme" des Instituts für Informatik der Universität Stuttgart
entwickelt. Wie alle in diesem Kapitel vorgestellten Applikationen bietet
auch
OrbVis
einen Java-basierten Struktureditor zur Eingabe von Verbindungen. Dies ist,
wie bereits erwähnt, vor allem für Schulen von Vorteil, da somit keine zusätzlichen
chemischen Austauschformate notwendig sind. Die Strukturdaten können auch
in dieser Applikation alternativ durch die SMILES-Notation an das System übergeben
werden. Da zur Generierung der Molekülorbitale quantenchemische Berechnungen
notwendig sind, wurde auch in
OrbVis
die maximale Größe der Verbindungen auf dreißig Hauptgruppenelemente limitiert.
Das Eingabeformular (Abbildung
4-17) des
Online-Dienstes beinhaltet neben den Feldern zur Struktureingabe keine weiteren
Funktionen zur Beeinflussung von Visualisierungsparametern, da die dreidimensionale
Szene vollständig auf dem Client erzeugt und dort bearbeitet werden kann.
Nachdem die Struktureingabe erfolgt ist, startet die Applikation die Berechnung
der dreidimensionalen Koordinaten (
CORINA).
Die dreidimensionale Strukturinformation wird anschließend an
VAMP
übergeben, wo unter Verwendung der AM1-Methode die Molekülorbitalinformation
berechnet wird (Befehl: ALLVECTORS). Das Ergebnis dieser Berechnungen wird
in Form einer dynamisch generierten HTML-Seite angezeigt (Abbildung
4-18).
Abb. 4-17:
OrbVis: Eingabeformular.
(Hier geht es zum
Online-Service.)
Abb. 4-18:
OrbVis:
Auswahlfenster (Farbabbildung: Anhang A, Abbildung
A-8).
Die Seite enthält dabei die wichtigsten Daten der semi-empirischen Berechnung.
Zum einen gibt die Seite Auskunft über die Gesamtzahl der berechneten Molekülorbitale
sowie über die Zahl der besetzten und unbesetzten Vertreter. Des Weiteren
enthält die Seite eine graphische Repräsentation der drei höchsten besetzten
Energieniveaus (inkl. Highest
Occupied
Molecular
Orbital
(HOMO)) und der drei niedrigsten unbesetzten Energieniveaus (inkl. Lowest
Unoccupied
Molecular
Orbital
(LUMO)). Bei der graphischen Darstellung der Energieniveaus wird auch der
Entartungszustand der Energieniveaus berücksichtigt.
Die zu visualisierenden Molekülorbitale können auf unterschiedliche Weise
ausgewählt werden (Abbildung
4-19). Zum
einen kann der Benutzer die Nummer eines Molekülorbitals in das dafür vorgesehene
Feld im HTML-Formular eintragen. Zum anderen kann aber auch die HOMO/LUMO-Option
im HTML-Formular aktiviert werden, wodurch eine parallele Betrachtung des
HOMOs und des LUMOs im VRML-Plugin möglich ist. Als dritte Möglichkeit kann
der Benutzer auch direkt eines der Molekülorbitale in der Energieniveauübersicht
mit Hilfe des Mauszeigers selektieren.
Abb. 4-19:
OrbVis:
Java-Applet und VRML-Plugin, HOMO von Anilin (Farbabbildung: Anhang A, Abbildung
A-9).
Die Visualisierung der Molekülorbitale erfolgt auf einer weiteren HTML-Seite,
in der sowohl ein VRML-Plugin als auch ein Java-Applet eingebettet sind (Abbildung
4-19). Das Applet berechnet anhand der
übertragenen Orbitalkoeffizienten und der im Applet implementierten Wellenfunktion
die Elektronendichte für einen gegebenen Isowert und stellt das resultierende
Molekülorbital im VRML-Plugin dar.
Das Applet stellt dem Benutzer einige zusätzliche Werkzeuge zur Verfügung,
mit denen die Szene in vielfältiger Weise manipuliert werden kann. So kann
mit Hilfe eines Schiebereglers (Slider) die Transparenz der Molekülorbitale
stufenlos verändert werden. Darüber hinaus kann mittels eines zweiten Sliders
der Isowert bzw. Grenzwert der Elektronendichte verändert werden. Unmittelbar
nach Änderung der Einstellung oder per Knopfdruck berechnet das Applet die
neuen Oberflächen für den entsprechenden Isowert. Mit Hilfe dieser Option
wird auf einfache Weise der Zusammenhang zwischen Elektronendichte und Ausdehnung
der Molekülorbitale vermittelt. Liegen dem Applet sowohl die Orbitalkoeffizienten
des HOMOs als auch die des LUMOs vor, so können beide Molekülorbitale im VRML-Plugin
visualisiert werden. Um eine komfortable Visualisierung der Applets zu erlauben,
können beide Darstellungen auch jeweils einzeln ein- oder ausgeblendet werden.
Eine weitere Option des Applets erlaubt das Exportieren der berechneten VRML-basierten
Molekülorbitale.
Wie auch
ComSpec3D
läuft der
OrbVis-Dienst
in einem zweistufigen Prozess ab (Abbildung
4-20).
Nach der Übergabe der strukturellen Konnektivitätsinformation an die
CACTVS-Kernbibliothek
fordert das erste CGI-Skript die dreidimensionalen Koordinaten vom Kernsystem
an. Die Generierung der 3D-Information wird dabei durch die bereits beschriebenen
Mechanismen realisiert. Das CGI-Skript generiert unter Verwendung der 3D-Information
eine
VAMP-Eingabedatei
(Schlüsselwort ALLVECTORS) und startet danach das semi-empirische MO-Programm.
Die von
VAMP
produzierte SD-Datei wird anschließend mit Hilfe einer entsprechenden
CACTVS-Leseroutine
eingelesen und analysiert. Im Gegensatz zu den anderen in diesem Kapitel beschriebenen
Applikationen wurden bei der Implementierung der
OrbVis-Anwendung
keine spezifischen
CACTVS-Module
zur Aufnahme der Orbitalvektorinformation entwickelt. Trotz dieses Sachverhalts
erkennt das System automatisch diese spezifische Information innerhalb der
von VAMP generierten SD-Datei und speichert sie
on-the-fly
in einem temporären, sogenannten synthetischen Datencontainer namens
E_ORBITALVECTORS
(vgl. ,synthetische Deskriptoren", Abschnit
2.3.1.2).
Der Name des Moduls leitet sich dabei automatisch von der Datenfeldbezeichnung
innerhalb der SD-Datei ab. Diese Fähigkeit von
CACTVS
unbekannte, chemische Datenobjekte automatisch in nicht-spezifisch definierten
Standardmodulen zu erfassen, ermöglicht einen verlustfreien und unkomplizierten
Zugriff auf jede Information innerhalb der SD-Datei. Die Information in
E_ORBITALVECTORS
wird anschließend vom CGI-Skript zur Generierung der dynamischen HTML-Seite
benutzt.
Abb. 4-20: Schematische Darstellung einer OrbVis-Sitzung.
Im zweiten Prozessschritt ruft der Benutzer durch Wahl eines Molekülorbitals
das zweite CGI-Skript auf. Dabei wird dem CGI-Skript neben dem Index des Orbitals
auch der Pfad zu der temporären SD-Datei übergeben. Beim Einlesen der temporären
Daten durch das Kernsystem stehen anschließend wieder jede notwendige Information
(3D-Koordinaten, Orbitalvektoren) zur Generierung der Molekülorbitale zur
Verfügung, ohne dass eine wiederholte Neuberechnung nötig ist. In einem nächsten
Schritt fordert das CGI-Skript eine VRML-Repräsentation der Strukturdaten
vom CACTVS-Kernsystem an. Die Generierung dieser Daten erfolgt dabei nach
den bereits beim VRML-Generator vorgestellten Mechanismen. Des Weiteren fordert
das CGI-Skript die Orbitalkoeffizienten für das entsprechende Molekülorbital
an. Die berechneten Daten werden in stark komprimierter Form als Applet-Funktionsparameter
an den Client übermittelt. Das mit der VRML-Szene in der HTML-Seite integrierte
Java-Applet nimmt auf diesem Wege die VRML-Szene mit der Strukturdarstellung
als auch die molekularen Orbitalkoeffizienten entgegen. Dem Applet liegen
damit alle chemischen Daten zur Darstellung der Molekülorbitale vor.
Der Vorteil dieser Methode ist, dass nur eine HTML-Seite mit wenigen Zeilen
HTML-Code (1 Zeile pro Atom) anstatt großer Volumendatensätze, die im Fall
von Gaussian-Cube-Dateien
in der Regel über ein Megabyte groß sind, oder VRML-Dateien an den Client
übertragen werden müssen. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine komplett lokale
Interaktion auf der Clientseite. Die Berechnung der Volumendaten, die Generierung
der Isoflächen (Oberflächen) als auch die Kombination aller Daten in der Basisszene
werden vollständig vom Applet übernommen.
Zur Generierung der Elektronendichte verfügt das Applet über zwei Minimalbasisfunktionen
zur Berechnung von
Slater
Type
Orbitals
(STO). Die eine Wellenfunktion berücksichtigt dabei nur s-Orbitalanteile und
kommt daher bei Helium und Wasserstoff zum Einsatz. Die andere Wellenfunktion
wird für alle anderen Atomtypen verwendet, da sie zusätzlich auch p-Orbitalanteile
berechnet. In beiden Funktionen fließen zum einen die atomspezifischen Normierungsfaktoren
der
Austin
Method
1 (AM1) [
121] als auch die AM1-berechneten
Orbitalkoeffizienten ein. Durch Anwendung der quadrierten Wellenfunktionen
auf einem kartesischen Raumgitter ergibt sich letztendlich die Elektronendichte
für das entsprechende Molekül. Aus den Volumendaten werden anschließend mit
dem Marching-Cubes-Algorithmus [
25] Isoflächen
extrahiert und diese nach Triangulation mit Hilfe des
External
Authoring Interface (siehe Abschnitt
2.2.5)
in die Basis-VRML-Szene des Plugins eingebaut. Eine detaillierte Beschreibung
der Applet-Implementierung wird an anderer Stelle vorgenommen [
26].
Die Visualisierung von Molekülorbitalen ist für das Verständnis chemischer
Prozesse wie beispielsweise Reaktionen von hoher Bedeutung. Im Gegensatz zu
molekularen Oberflächen können diese Daten jedoch nicht durch einfache Algorithmen
direkt aus der dreidimensionalen Struktur abgeleitet werden. Vielmehr ist
dafür der Einsatz spezieller, quantenchemischer MO-Programme notwendig. Dies
ist auch der Grund, warum die Berechnung und Visualisierung von Molekülorbitalen
bis heute generell nicht durch Web-Applikationen möglich ist. Dennoch existieren
einige Plugins, die eine Visualisierung spezieller Volumendaten realisieren
können. Der bekannteste Vertreter ist das bereits mehrfach erwähnte
Chime-Plugin.
In der aktuellen Version 2 kann
Chime
auch
GAUSSIAN-Cube-Dateien
[
24] einlesen und die darin enthaltenen
Isoflächen visualisieren. Dieser Ansatz eignet sich jedoch nur für sehr kleine
Volumendatensätze, da Cube-Dateien in der Regel sehr groß sind (einige zehn
Kilobytes bis einige Megabytes) und somit ein Transport über das Internet
sehr zeitaufwendig ist. Einen anderen Ansatz verfolgt das
Chem3D-Plugin
der Firma
CambridgeSoft
[
122]. Das Plugin kann das kleine,
firmenspezifische C3D-Format lesen. Ein großer Nachteil dieser Methode besteht
jedoch darin, dass dieses Format von einer entsprechenden kommerziellen Applikation
(
Chem3D
Ultra) aus quantenchemischen Austauschformaten generiert werden muss.
Alternativ zu den Plugin-basierten Methoden kann auch VRML zur Visualisierung
der Molekülorbitale zum Einsatz kommen. Erste VRML-basierte Beispiele zur
Visualisierung von Atomorbitalen wurden von Brickmann vorgestellt [
9].
Dieser auf VRML1.0 basierende Ansatz ermöglicht dem Benutzer die Berechnung
und Visualisierung von Atomorbitalen des Wasserstoffsatoms. Nach Selektion
eines Atomorbitals in einem HTML-Formular berechnet eine Server-seitige Wellenfunktion
die korrespondierende Elektronendichte. Für einen vom Benutzer definierten
Isowert wird im Anschluss die Oberfläche des Atomorbitals berechnet und schließlich
in einer VRML-basierten
Solid-,
Linien-
oder
Point-Darstellung
repräsentiert. Leider können mit Hilfe des Service nur die Atomorbitale (s,
p, d) des Wasserstoffatoms berechnet und dargestellt werden. Des Weiteren
wird das veraltete VRML1.0-Format von vielen VRML-Leseapplikationen nicht
mehr unterstützt.
Das Potential von VRML-basierten MO-Darstellungen zum leichteren Verständnis
von theoretischen Grundlagen wurde auch in dem Buch ,
The
Chemist's Electronic Book of Orbitals" genutzt [
123].
Im Gegensatz zu dem auf Wasserstoff limitierten zuvor beschriebenen Ansatz,
bietet die dem Lehrbuch beiliegende CD VRML-basierte Molekülorbitaldarstellungen
von über 160 Molekülen. Dabei kann nicht nur ein einzelnes Molekülorbital
sondern alle berechneten MOs für die jeweilige Verbindung dargestellt werden.
Leider basieren auch diese VRML-Szenen auf dem veralteten VRML1.0-Format.
Darüber hinaus ist die Darstellung Molekülorbitale nur auf die vorhandenen
Moleküle begrenzt.
Während die beschriebenen Methoden das Vorliegen vorberechneter Originaldaten
erfordern oder in ihrer Anwendung stark limitiert sind, werden im Folgenden
Ansätze vorgestellt, die eine interaktive Berechnung und Visualisierung beliebiger
Molekülorbitale erlauben. Eine entsprechende Applikation ist der bereits beschriebene
Waltz-Dienst
[
116]. Nachdem sich ein Benutzer für
den Online-Service registrieren lassen hat, kann er mittels eines HTML-basierten
Periodensystem die gewünschten Atomtypen und deren Anzahl festlegen. Auf der
nächsten Seite müssen anschließend die 3D-Koordinaten der Atome angegeben
werden. Nach der im Anschluss folgenden quantenchemischen Berechnung werden
die Orbitale in Form von Bildern dargestellt. Der Benutzer kann aber auch
eine alternative VRML-Darstellung wählen. Diese VRML-basierte Repräsentation
enthält allerdings keinerlei strukturelle Information. Obwohl die dreidimensionalen
Koordinaten aufgrund der Möglichkeit zur Geometrieoptimierung nicht exakt
angegeben werden müssen, ist das Eingabeverfahren sehr unkomfortable und kompliziert.
Für den Einsatz im chemischen Unterricht ist diese Methode der Dateneingabe
darüber hinaus vollkommen ungeeignet.
Die OrbVis-Applikation
stellt nach unserer Erkenntnis das einzige System dar, das sowohl die Berechnung
als auch die Visualisierung der Molekülorbitale vollständig auf der Clientseite
realisiert. Diese Architektur beinhaltet mehrere Vorteile. Zum einen ist die
Menge der über das Internet transportierten Daten sehr klein, da die Berechnung
der verhältnismäßig großen Volumendaten vollständig auf dem Client durchgeführt
werden kann. Durch diesen Ansatz werden des Weiteren auch die guten 3D- und
Rechen-Leistungen heutiger Standard-PCs unterstützt.
Der wichtigste Vorteil der Applikation liegt jedoch in der Gewährleistung
einer schnellen Reaktion auf Benutzereingaben und dem damit verbundenen Höchstmaß
an Interaktion. Der Benutzer kann beispielsweise den Detailierungsgrad und
die Transparenz der Molekülorbitale einstellen, einzelne Orbitale voneinander
unabhängig ein- oder ausblenden oder die Grenzwerte für die Orbital-Isoflächen
dynamisch verändern, so dass die Elektronendichteverteilung interaktiv verfolgt
werden kann. Der Einsatz des Struktureditors zur Eingabe von Molekülen erlaubt
auch in diesen Fall den unkomplizierten Einsatz der Anwendung an Schulen und
Universitäten.
Die Akzeptanz des Webdienstes zeigt sich vor allem in den hohen Nutzungszahlen.
Innerhalb der letzten zwei bis drei Jahre wurde die Anwendung bereits über
13.000 mal aufgerufen. Darüber hinaus wurde die Applikation auch in wissenschaftlichen
Publikationen anderer Autoren beschrieben [
126].
OrbVis
wurde im Rahmen eines Software-Praktikums [
127]
auch als reine Java-basierte Applikation weiterentwickelt. Durch diese Architektur
kann somit auf den Einsatz und die Installation eines zusätzlichen VRML-Viewers
verzichtet werden. Die dreidimensionale Visualisierung der Molekülorbitale
wird stattdessen mit der Java3D-Erweiterung (vgl. Abschnitt
2.2.6)
realisiert. Des Weiteren wurde im Rahmen des
ChemVis-Projekts
eine Prototyp-Applikation zur Animation von Molekülorbitalen während einer
chemischen Reaktion entwickelt [
128].
4.2.3 Weitere Client-seitige Ansätze
Der Großteil der aktuellen Web-Applikationen wie die chemischen Plugins werden
vollständig auf der Clientseite ausgeführt. Generell basieren diese Ansätze
aber nicht auf dreidimensionalen Visualisierungsmethoden, sondern nutzen vielmehr
Techniken wie die Pseudo-3D-Darstellung zur Vermittlung eines räumlichen Eindrucks.
Aus diesem Grund können diese Applikationen daher nicht zu den hier besprochenen
Ansätzen gezählt werden.
Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Durch den Einsatz der Java3D-Erweiterung können
heute Web-Applikationen entwickelt werden, die das 3D-Graphik- und Rechen-Potential
heutiger Client-Systeme nutzen können. Ein erster Vertreter dieser neuen Klasse
von Applikationen stellt das
SRS
3D Modul der Firma
Lion
Bioscience dar [
92].
Während die bis dato
beschriebenen Applikationen alle auf der Isoflächen-basierten Volumenvisualisierung
aufbauen, wurden im Rahmen des ChemVis-Projekts
auch Ansätze zur Client-seitigen, Textur-basierten Visualisierung verfolgt.
Diese Art der Visualisierung war bis vor wenigen Jahren nur auf mit entsprechender
3D-Texturhardware ausgestatteten Hochleistungsrechner möglich.
Die modernen
low-cost
Graphikkarten, die vor allem für Spiele- und Multimedianwendungen konzipiert
wurden, verfügen jedoch zunehmend über leistungsfähige Multitextureinheiten.
Speziell für diese Client-seitigen Hardware-Architekturen wurde von unseren
Projektpartnern im
ChemVis-Projekt
ein sogenannter
Pre-Integrated
Volume Rendering-Ansatz entwickelt, der eine hochaufgelöste, direkte
Volumenvisualisierung wissenschaftlicher Daten zulässt [
20].
Die Bildwiederholungsraten liegen dabei teilweise deutlich über den von Hochleistungsworkstations
erzielten Raten. Eine detaillierte Übersicht dieser Ansätze wurde von Engel
beschrieben [
26].
4.3 Server-seitige Strategien
Abb. 4-21: Server-seitige Strategien.
Server-seitige Ansätze (Abbildung
4-21)
verlagern die Module der Visualisierungspipeline auf einen oder mehrere leistungsstarke
Hochleistungsrechner, welche die zur Visualisierung notwendigen Berechnungen
unter Ausnutzung leistungsfähiger Spezialhardware durchführen. Die von den
Servern berechneten Bilder werden zu Arbeitsplatzrechnern übertragen, die
als einfache Anzeigegeräte fungieren. Durch Rückübertragung der Client-seitigen
Benutzereingaben an den Server kann die Visualisierung beeinflusst werden.
Diese Strategie wird vor allem bei sehr großen Datensätzen eingesetzt. In
der Regel liegen chemische Datensätze in einer Größenordnung, die eine Visualisierung
durch die bereits beschriebenen Ansätze erlaubt. Darüber hinaus setzt die
Server-seitige Strategie entsprechende Hochleistungsrechner und spezielle
Graphikhardware voraus. Aus diesen Gründen spielen Server-seitige Visualisierungsstrategien
zur Zeit innerhalb der Chemie keine bedeutende Rolle. Diese Situation wird
sich in den kommenden Jahren jedoch drastisch verändern. Neue Analysetechniken
wie die Cryo-Elektronenmikroskopie generieren bereits jetzt Volumendatensätze
von mehreren Megabytes. Die aus den Volumendaten abgeleiteten Isoflächen bestehen
dabei aus einigen hunderttausend Primitiven und können somit auch nicht mit
moderner 3D-Graphikhardware interaktiv dargestellt werden. Ein Server-seitiger
Lösungsansatz zur Darstellung großer Volumendaten wird im Folgenden Abschnitt
beschrieben.
4.3.2 Server-seitige Anwendungen
Die Größe durch Cryo-Elektronenmikroskopie generierter Volumendatensätze hängt
proportional von der Auflösungsgrenze dieser neuen Analysetechnik ab. Während
bei einer Auflösung von 18 Å noch ein Volumendatensatz von 723
Voxeln (~1,5 GB, ~40.000 Dreiecke) resultiert, steigt die Größe des Datensatz
bei einer Auflösung von 13 Å bereits auf 1603
Voxel (~16,4 GB, ~300.000 Dreiecke) an. Die momentane Auflösungsgrenze liegt
unterhalb von 10 Å und produziert entsprechend große Datensätze. Der Transport
dieser Datensätze über das Internet verbietet sich aufgrund ihrer Größe. Darüber
hinaus sind die resultierenden Szenen auch nicht mehr mit Standardgraphikhardware
darstellbar.
Im Rahmen des
ChemVis-Projektes
wurde deshalb von unseren Projektpartnern eine Server-seitige Anwendung zur
interaktiven Visualisierung großer Volumendatensätze entwickelt. Die Architektur
setzt dabei auf bereits bestehende, Server-seitige
OpenInventor
bzw.
Cosmo3D-Visualisierungsapplikationen
auf. Durch Modifikation der Szenengraphen können die auf dem Server generierten
Darstellungen komprimiert und an die Clients übermittelt werden. Bei diesem
Vorgang wird lediglich eine Folge dynamisch generierter 2D-Bilder (
image
stream) an die Java-basierten Client-Applikationen übermittelt. Benutzerinteraktionen
auf der Clientseite werden mittels CORBA-Aufrufe zurück an den Visualisierungsserver
geleitet und dort wie lokale Ereignisse behandelt. Mit Hilfe dieser Architektur
können somit auch aufwendige und große Volumendaten auf Personalcomputern
dargestellt werden, die nur über einfache 2D-Graphikhardware verfügen. Da
diese Ansätze im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine zentrale Rolle gespielt
haben, wird für eine detaillierte Beschreibung auf andere Quellen verwiesen
[
26].
4.4 Diskussion der Strategien
Komplexe chemische Zusammenhänge können durch die Einbettung dreidimensionaler
Darstellungen in digitale Dokumente besser verstanden werden. Eine interaktive
Darstellung ist aber durch die teilweise enorme Menge an Daten, die hierzu
übertragen und dargestellt werden muss, nicht ohne intelligente Strategien
zur Verteilung der Lasten auf Client- und Server-Systeme möglich. Die Wahl
der geeigneten Strategie hängt dabei von einer Vielzahl von Parametern ab.
Durch die anfangs erwähnten hybriden Strategien können sowohl Server-seitig
als auch Client-seitig vorhandene Graphik-, Speicher- und Rechen-Kapazitäten
zur Optimierung der Interaktivität bei gleichzeitiger Minimierung der Netzlast
optimal genutzt werden. Der Vorteil dieser Strategien ist, dass die meist
sehr großen Rohdaten auf dem Server verbleiben können und nicht über das Internet
transportiert werden müssen. Diese Architektur ist auch dann interessant,
wenn die Rohdaten aus Datenschutzgründen nicht an den Client übertragen werden
sollen.
Die enorm gestiegenen Rechen- und Graphik-Fähigkeiten heutiger Standard-PCs
werden vor allem in den Client-seitigen Ansätzen genutzt. Da die Darstellungsfähigkeiten
der Client-Systeme in den nächsten Jahren noch weiter ansteigen werden, wird
die Client-Strategie in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Der Hauptvorteil
dieser Strategie ist, dass nach dem Transfer der Daten keine weitere Datenübertragung
notwendig ist, wodurch Verzögerungen durch Netzwerklast oder Netzwerklatenz
wegfallen. Diese Vorgehensweise erlaubt eine rein lokale Interaktion mit den
Daten bei gleichzeitiger Balancierung von Rendering-Qualität und Echtzeit-Performance.
Die zuletzt vorgestellten Server-seitigen Strategien kommen vor allem zum
Einsatz, wenn auf der Clientseite nicht die für interaktive Visualisierung
notwendige Hardware zur Verfügung steht, die vorhandene Spezialhardware eines
Hochleistungsrechners genutzt werden soll oder ein Transfer der Originaldaten
aus Bandbreiten- oder Sicherheitsgründen nicht möglich ist.
Der Zugriff auf digitale Dokumente der Chemie ist heute über eine Vielzahl
unterschiedlicher Rechnerplattformen und Netzwerkinfrastrukturen möglich.
Um jeder dieser möglichen Zugriffskonfigurationen eine optimale Interaktion
mit der eingebetteten Information zu ermöglichen, ist eine adaptive Anpassung
der Client-Server-Strategie an die jeweils vorliegenden Verhältnisse nötig.
So können zu Beginn oder während einer Visualisierungssitzung die Kapazitäten
auf der Client- und Server-Seite sowie die Bandbreite und Latenz des verbindenden
Netzwerks überprüft werden, um daraus die jeweilige optimale Client-Server-Strategie
zu ermitteln.
Beispielsweise können zu Beginn einer Sitzung die graphischen Kapazitäten des Client-PCs ermittelt werden und bei Vorliegen entsprechender Hardware rein Client-seitige Strategien zum Einsatz kommen. Andernfalls wird je nach Auslastung des Servers eine Server-Strategie oder ein hybrider Ansatz gewählt. Die Wahl der jeweiligen Strategie kann natürlich auch während einer Sitzung ständig neu angepasst werden. So kann beispielsweise zu Beginn ein Server-seitiger Ansatz verfolgt werden. Steigt dann während der Sitzung die Serverlast und damit auch die Antwortzeiten so ist ein Umstieg auf andere Strategien denkbar.