Einige Begriffe, die zur Formulierung der Regeln gebraucht werden, sollen zunächst erläutert werden:
Struktur 79 Struktur 80 Struktur 81
Brückenkopfatome in verschiedenen Verbindungen. Die Atome 1 und 2 im Decalin (79) sind Brückenkopfatome im WODCA System, nach der Corey-Definition jedoch nicht. Die markierte Bindung ist eine Kern-Bindung. Im Norbornan (80) sind 3 und 4 nach beiden Definitionen Brückenköpfe. Das Atom 5 in (81) ist kein Brückenkopfatom.
Der SSSR (smallest set of smallest rings) ist diejenige Menge an möglichst kleinen Ringen, die zur Beschreibung aller Ringe einer Verbindung notwendig und ausreichend ist. Bei Corey heißen diese Ringe primäre Ringe.
o Ringe, die durch Kombination zweier Ringe aus dem SSSR entstehen, dabei aber nicht größer als 7-gliedrig sind, werden hier als sekundäre Ringe verstanden. Nach Corey sind sekundäre Ringe alle Ringe, die aus Ringpaaren des SSSR ableitbar sind.1
o Der für Coreys Regeln wichtige Satz an synthetisch signifikanten Ringen leitet sich dann ab aus der Summe aller primären und sekundären Ringe, die mehr als 3-gliedrig und kleiner als 8-gliedrig sind.
o Bindungen, deren retrosynthetischer Bruch zur Bildung eines neuen primären Ringes mit acht oder mehr Atomen führen würde, werden Kern-Bindungen genannt. (siehe Abb. 4 - 29)
o Brückenkopfatome sind für WODCA jene Ringatome, die zu zwei oder mehr Ringen gehören und zwei oder mehr Ringbindungen zu Nachbaratomen haben, die nicht zum gleichen Ring gehören. Dabei werden Spirozentren nicht als Brückenköpfe betrachtet. Von Corey wird zusätzlich verlangt, daß die zwei Brückenkopfatome verbindende Überschneidung zweier Ringe mehr als eine Bindung lang ist. Abbildung 4 - 29 veranschaulicht die Unterschiede der Definitionen.
o Der maximal verbrückte Ring ist derjenige Ring2, der die größte Anzahl an Brückenkopfatomen aufweist.
6b. Existiert jedoch nur ein chirales Zentrum auf diesem Pfad und ist dieses Zentrum Bindungsatom der strategischen Bindung, wird diese Bindung nicht ausgeschlossen (siehe markierte Bindung im Beispiel (83) in Abb. 4 - 30).
Beispielfälle zur Erläuterung der Regeln 6a und 6b. Im linken Beispiel werden die markierten Bindungen als strategische Bindungen nach 6a ausgeschlossen. Im rechten Fall dagegen, erlaubt 6b die hervorgehobene Bindung als strategische Bindung.
Diese Regeln sind für das LHASA-Programm im Quellcode formuliert, d. h. sie sind gewissermaßen fest verdrahtet" im Gegensatz etwa zu den Transforms, die mittels CHMTRN codiert sind. Für WODCA werden auch diese Regeln, wie die anderen Methoden zur Suche nach strategischen Bindungen (siehe vorangehende Abschnitte) oder die Transformationssuchen (siehe Kapitel 3) in tcl codiert. Eventuell erforderliche Veränderungen werden damit jedem Anwender möglich.
Um die Formulierung der obigen Regeln in tcl zu bewerkstelligen, wurde das ring Kommando als zusätzliche Erweiterung implementiert (siehe Abschnitt 3.2.3). Die Größenbegrenzung im Begriff der synthetisch signifikanten Ringe basiert auf der Erfahrung, daß Großringe (ab acht Atome) schwieriger zu synthetisieren sind. Auch der Begriff der Kern-Bindung wurde aus diesem Grund eingeführt. Diese Begrenzung ist jedoch nicht unumstritten. Deslongchamps [121] fordert beispielsweise gerade die Entwicklung von Synthesemethoden für Ringe mittlerer und großer Gliederzahl. Für diese Arbeit wurde Coreys Begrenzung beibehalten. Durch die externe Codierung der Regeln ist es jedoch problemlos und einfach für jeden Anwender möglich, derartige Beschränkungen zu verändern.
Die WODCA-Implementation weicht in einzelnen Punkten von den Regeln Coreys ab.
Die Definitionen des maximal verbrückten Rings unterscheiden sich, weil die Definitionen von Brückeköpfen verschieden sind (siehe oben).
o Die Regeln 6a und 6b werden nicht angewendet. Seit Aufstellung der Regeln durch Corey sind viele Reaktionen so weiterentwickelt worden, daß sie stereokontrolliert ablaufen können. Es erscheint daher nicht länger erforderlich, diese Einschränkung zu berücksichtigen. In [12] werden diese Regeln ebenfalls dahingehend modifiziert, daß die Entfernung der Stereozentren dem retrosynthetischen Bruch der Ringbindung vorangehen soll.
In Abbildung 4 - 31 wurde die WODCA-Implementation der Corey-Regeln auf Beispielverbindungen der Originalpublikation [100] angewendet. In diesen Fällen sind die Ergebnisse identisch. Einzige Ausnahme ist das Bicyclo[3.2.1]octan-Derivat (84), für das WODCA eine zusätzliche strategische Bindung lokalisiert, die bei Corey aufgrund der Regel 6a eliminiert wird.
Anwendung der WODCA-Implementation der Regeln zur Auswahl strategischer Bindungen in komplexen Ringsystemen. Die fett markierten Bindungen sind die in der Originalpublikation als strategisch erkannten Bindungen. Der Querstrich markiert die von WODCA ermittelten strategischen Bindungen.
Auch hier soll die Anwendung dieser Algorithmen an einem Beispiel demonstriert werden. Dazu dient das Bicyclo[2.2.2]octan-Derivat (85) aus Abbildung 4 - 32. Man beachte die chiralen Zentren. Die Verbindung hat zwei primäre Ringe mit sechs Gliedern sowie einen sekundären Ring mit ebenfalls sechs Atomen. In jedem der Ringe gibt es zwei Brückenkopfatome (Atome 1 und 4 in Abb. 4 - 32).
Struktur 85 Bicyclo[2.2.2]octan
Anwendungsbeispiel Bicyclo[2.2.2]octan-Derivat (85). Links eine perspektivische Darstellung der Zielverbindung, in der Mitte die verwendete Numerierung für das Ringsystem. Rechts eine alternative Darstellung der Zielverbindung mit entsprechenden Keilbindungen. Um die Stereochemie korrekt zu spezifizieren, muß die Verbindung mit gekeilten Bindungen eingegeben werden. Ein Computerprogramm kann allein aus der Konnektivitätsinformation, wie sie in der linken Darstellung enthalten ist, keine eindeutige Zuordnung der chiralen Zentren vornehmen.
Links alle strategischen Bindungen in Verbindung (85). Die fett gezeichneten Bindungen resultieren nach dem Corey-Algorithmus. Die markierten Bindungen erkennt WODCA als strategisch. Die Zahlen neben den Markierungen sind die zugeordneten Bewertungen. Rechts die Vorstufen, die beim Bruch zweier strategischer Bindungen resultieren.
Vorstufengenerierung durch Bruch nur einer strategischen Bindung und erneute Anwendung einer Analysefunktion. Die letztendlich resultierenden Vorstufen sind gleich. Dafür wird der doppelte Michael-Angriff so deutlicher.
Die Vorstufen (86) und (87) werden direkt im Fluka-Katalog gefunden. Interessant ist die Fragestellung, ob es zum (-)-Carvon (86) alternative Ausgangsmaterialien gäbe, wenn dieses selbst nicht kommerziell verfügbar wäre. Dazu wird mit dem Ähnlichkeitskriterium C-Skelett einschließlich -Atome und Reduktion" im Fluka-Katalog gesucht. Zehn Treffer erhält man auf diese Weise. Diese werden mittels der in Abschnitt 2.2.3 vorgestellten Funktion auf ihre relative Übereinstimmung mit der Anfrageverbindung (-)-Carvon (86) bewertet und abfallend geordnet. Diese Reihenfolge gibt Abbildung 4 - 35 wieder. Das klar am besten bewertete Ausgangsmaterial ist natürlich (-)-Carvon selbst. Aber auch das (-)-Carvyl-acetat (88) stimmt mit seiner Konfiguration und Funktionalitätsverteilung exzellent mit der Anfrage überein und erhält daher eine nur wenig niedrigere Bewertung. Wäre (-)-Carvon nicht im Katalog enthalten, stellte diese Verbindung eine bestens geeignete Alternative dar. Alle anderen Ausgangsmaterialien fallen dagegen deutlich ab.
Nach ihrer Bewertung geordnete Ausgangsmaterialien für (-)-Carvon (86, unten rechts). Die Bewertung ist als Tortendiagramm (rechts oben) wie auch numerisch (links oben) angegeben. Die Liste der zehn Verbindungen wurde mit der Ähnlichkeitssuche C-Skelett einschließlich -Atome und Reduktion" ermittelt.
Strategische Bindungen in der Zielverbindung TIBO (46). Links die mit den Algorithmen des Abschnitts 4.3.2 ermittelten Vorschläge. Rechts die mittels der formalen Strategie dieses Abschnitts gefundenen Empfehlungen.