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Grundlagen

Retrosynthetische Analyse des Syntheseziels

Um einschätzen zu können, wie sich eine organische Verbindung chemisch verhält, war während der ersten hundert Jahre organischer Chemie die Sichtweise des Chemikers auf die Struktur der Ausgangsverbindung gerichtet, d.h. welcher Substanzklasse gehörte eine Verbindung an und welche Umsetzungsreaktionen sind möglich. Reaktionstypen wurden anhand der Edukte definiert, die einen bestimmten Reaktionstyp eingehen können, z.B. Esterkondensation, Glycol-Spaltung oder aromatische Substitution. Allgemein wurden Reaktionen immer in Richtung des Reaktionsverlaufs, d.h. von den Edukten zu den Produkten, betrachtet.

Der retrosynthetische Ansatz konzentriert sich dagegen immer auf strukturelle Eigenschaften des Produkts einer Reaktion. Synthesen werden nicht mehr unter dem Aspekt der Namensreaktionen gesehen, sondern unter dem einer globalen Gerüsttransformation. Allgemein wird das Muster von Ladungen und Polaritäten betrachtet, ohne darauf zu achten, durch welche Art von Substituenten dieses Ladungsmuster tatsächlich geprägt ist.

Strukturen werden grundsätzlich entgegengesetzt der tatsächlichen Syntheserichtung modifiziert. Aus diesem Grund wird diese Richtung als antisynthetisch oder retrosynthetisch bezeichnet; der Vorgang selbst als Antithese oder Retrosynthese. Das Ziel einer Retrosynthese bzw. einer retrosynthetischen Analyse ist es, das gewünschte Produkt einer Synthese, das Syntheseziel, sukzessive in einfachere Strukturen zu zerlegen. Dazu ist es erforderlich, das Syntheseziel nach einer genauen und rationalen Analyse einer retrosynthetischen Operation zu unterziehen, deren Ergebnis zu einem logisch begrenzten Satz neuer Strukturen führt. Dieser Struktursatz muß sich durch eine einzelne Operation in synthetischer Richtung, d.h. durch eine chemische Reaktion, wieder zur Zielverbindung umsetzen lassen. Jede Struktur dieses Struktursatzes wird nacheinander in gleicher Weise selbst analysiert, wodurch jeweils eine weitere retrosynthetische Operation ausgeführt bzw. eine synthetische Operation entfernt wird. Dieser Vorgang wird wiederholt, bis einer oder mehrere mögliche Synthesepfade, ausgehend von verfügbaren Ausgangsmaterialien, bis zum Syntheseziel gefunden sind.


© Prof. Dr. J. Gasteiger, Dr. Th. Engel, M. Sitzmann, CCC Univ. Erlangen, Thu Apr 22 13:31:23 2004 GMT
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